„.fju port de
Gönes“
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der geborene Redner im romanischen Sinn, in der Art, wie Danton und
Mirabeau, wie Jaures, Castelar und Crispi es waren. Er verfügte über eine
starke, tiefe, wohllautende, wenn er wollte dröhnende Stimme, über die zu
einer solchen Stimme gehörende breite, dominierende Geste, über ein leb-
haftes und ausdrucksvolles Mienenspiel. Die kräftige Lunge und die ge-
läufige Zunge hatten ihm schon als jungem Studenten im Cafe Procope,
in dem so mancher später berühmt gewordene Franzose seine ersten Redner-
versuche unternahm, eine Stellung gemacht. Der Student Gambetta hauste
natürlich im Lateinischen Viertel, im Quartier Latin, in der Rue de l’Odeon,
in demselben kleinen Gasthof, in dem der nur um zwei Jahre jüngere
Dichter Alphonse Daudet eine Dachstube bewohnte. Daudet sollte später
in seinem vielleicht besten Roman, im „Numa Roumestan“, die Gestalt
des südfranzösischen Demagogen, der sich Paris erobert, mit scharfem
Griffel zeichnen. Die Behauptung, Gambetta habe als Student seine Kom-
militonen um ein Zwanzigsousstück anpumpen müssen, um sein Abendbrot
zu bezahlen, ist eine Schnurre. Er bezog von seinem ehrsamen Vater, dem
italienischen Kräuterhändler in Cahors, einen monatlichen Wechsel von
300 Frank, für einen Bewohner des Quartier Latin ein ganz anständiger
Wechsel. Dagegen willich gern glauben, daß Gambetta, wenn er auch nicht
ein armer Teufel von Boh&@mien war, doch wie ein solcher aussah, als erin
seiner ersten Jugend als Student im Cafe Procope, später, als er Advokat
geworden und von dem linken auf das rechte Seineufer vorgedrungen war,
im Cafe Madrid durch seine Bruststimme abends einen Kreis bewundernder
Zuhörer um sich versammelte. Noch als ich Gambetta kennenlernte, fiel
mir sein ungewöhnlich nachlässiger Anzug auf. Sein Frack saß schlecht.
Sein Hemd quoll aus der Weste hervor wie eine aufgebauschte Gardine.
(Sa chemise bouffait.) Seine Kravatte saß schief. Das würde seinem Fort-
kommen in England geschadet haben, wo auf den Anzug großer Wert gelegt
wird und wo Disraäli einem debütierenden Member of Parliament eine
schöne Zukunft prophezeite, weil er sein Monokel „wie ein Gentleman“
trage. Der Franzose sieht lange nicht so sehr wie der Brite auf das Äußere
des Mannes, aber um so mehr auf seine oratorische Begabung. Der Deutsche
legt weder auf das eine noch auf das andere besonderen Wert, sondern
beurteilt den Politiker in erster Linie nach seinem ethischen Gehalt und
nach seiner Stellung zu Weltanschauungsproblemen.
Leon Gambetta war wie Napoleon, wie der Kardinal Mazarin, der
Nachfolger des Kardinals Richelieu und Fortführer seines Werkes, wie der
Marechal de Retz und der Kardinal de Retz von italienischer Herkunft.
Sein Großvater war aus Genua in Frankreich eingewandert. Sein noch in
Italien geborener Vater sprach bis zu seinem Lebensende Französisch mit
prononciert italienischem Akzent. Gambetta p£re betrieb einen Handel mit