Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

DER REITERFÜHRER VON SEDAN 471 
mir Gambetta mit Nachdruck, „‚daß es überhaupt eine soziale Frage gibt. 
Es gibt nur soziale Fragen, die man allmählich, von Fall zu Fall, serien- 
weise in Angriff nehmen muß (qu’il faut serier).“ Seinen Wählern von 
Belleville, die ihn, als er ihnen diese Serien-Theorie in einer Wahlrede vor- 
trug, mit Pfeifen und Johlen unterbrachen, hatte er mit donnernder 
Stimme zugerufen: „Ihr seid besoffene Sklaven! Ich werde euch aber in 
euren schmutzigen Höhlen zu finden und an der Gurgel zu packen wissen.“ 
Nachdem Gambetta mich aufgefordert hatte, ihn gelegentlich einmal 
zu besuchen, schüttelte er mir mit Bonhomie die Hand und wandte sich 
den übrigen Gästen zu. Von diesen behandelte er den General Galliffet mit 
der größten Auszeichnung, ganz als persönlichen Freund. Der Marquis 
de Galliffet, Gaston Alexandre Auguste Galliffet, damals noch nicht 
50 Jahre alt, war ein glänzender Militär. So mögen die Musketiere unter 
Ludwig XIII. ausgesehen haben, die Dumas in seinem unsterblichen Roman 
verherrlicht hat, so die Talons rouges unter Louis XIV und Louis XV. 
Schon als junger Offizier hatte er sich durch Bravour ausgezeichnet. In 
Mexiko hatte ihm ein Granatsplitter den Leib aufgerissen. Mit der Hand 
ergriff er die herausquellenden Eingeweide und schob sie wieder zurück, 
bis ihm ärztliche Hilfe geleistet werden konnte. Es hieß, daß er seitdem ein 
silbernes Band um den Magen trüge. Er hatte bei Reichshofen (Wörth) und 
namentlich bei Sedan als Kavallerieführer schneidige Attacken geritten. 
Als ihn bei Sedan sein Kommandierender General frug, ob er sich getraue, 
die Regimenter noch einmal gegen den Feind zu führen, hatte er erwidert: 
„TLant que vous voudrez, tant qu’il vous plaira ettant qu’il y aura un homme 
et un cheval.“ Er hatte sich später im Kampf gegen die Pariser Commune 
ausgezeichnet, bei dieser Gelegenheit allerdings auch durch eine Grausam- 
keit, die bei den Franzosen oft dem Heroismus verbunden ist. General 
Galliffet erzählte mir selbst an jenem Abend bei dem Grafen Roger, daß er 
nach der Niederwerfung der Commune Befehl gegeben habe, jeden ge- 
fangenen Insurgenten an die Wand zu stellen und zu erschießen. Er habe 
jeden Arbeiter erschießen lassen, der pulvergeschwärzte Hände gehabt 
hätte. „Es ist möglich, daß sich unter den Erschossenen ein paar Leute be- 
fanden, deren Hände nicht durch Pulver, sondern auf andere Weise schwarz 
geworden waren. Aber in solchen Augenblicken darf man nicht meticuleux 
sein. Il ne faut pas y regarder de trop pres.“ Für sein schonungsloses Vor- 
gehen gegen die Communards von 1871 konnte sich Galliffet auf den Ge- 
neral Cavaignac berufen, der 1848 den Juni-Aufstand der Pariser Arbeiter 
in Blutströmen ertränkt hatte und für die Franzosen trotzdem oder gerade 
deshalb „un glorieux soldat‘ blieb. 
Die Freundschaft zwischen Gambetta und Galliffet wurde jedenfalls 
in keiner Weise dadurch gestört, daß von den treuen Wählern des 
General 
Galliffet
	        
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