Freycinet
484 DIE WEISSE MAUS
„Egalite‘“ für baren Unsinn, weil unmöglich, die „Liberte‘“ für nur so weit
zulässig, wie das staatliche Interesse nicht darunter litte. Wie Gambetta
forderte er „une France blind&e et cuirass&e“, ein bombenfestes und ge-
panzertes Frankreich, und erklärte noch 1885, durch die Schule und durch
ein möglichst hartes Militärgesetz müßte das französische Volk bis in die
Knochen militarisiert werden. Sein Testament schloß mit den Worten:
„Ich wünsche, in Saint-Die begraben zu werden, im Angesicht der blauen
Linie der Vogesen (la ligne bleue des Vosges), damit ich, solange der Elsaß
von Frankreich getrennt ist, seine Klagen und, wenn er wieder mit Frank-
reich vereinigt wird, seinen Jubel hören kann.‘ Vom französischen Stand-
punkt aus verdient er die Denkmäler, die ihm nach seinem Tode, zum Teil
von denselben Leuten, die ihn bei seinen Lebzeiten angegriffen, beschimpft
und gestürzt hatten, in Tunis, in Haifong, dem Seehafen von Tongking, und
in seiner Geburtsstadt Saint-Die errichtet wurden. Sein giftigster Feind
war Georges Clemenceau, der ihn fast ebenso gehässig angriff, wie er
Gambetta befehdete.
War Ferry das Bild eines starken und knorrigen Ostfranzosen, so war
Herr von Freycinet ein feingliedriger, ungemein liebenswürdiger und
höflicher Sohn des französischen Südens. Man nannte ihn „la souris
blanche‘, aber in seinem zarten Körper wohnte eine starke Seele. Er war
während des Kriegswinters 1870/71 der militärische Berater von Gambetta
gewesen. Ein so kompetenter Beurteiler wie der von mir schon erwähnte
langjährige deutsche Militärattache in Paris, Adolf Bülow, hat mir von
Freycinet gesagt, daß dieser Ingenieur, obwohl er nie Militär gewesen war
und mit kaum zweiundvierzig Jahren zur Leitung des französischen
Widerstandes berufen wurde, unter den schwierigsten Verhältnissen größere
militärische Fähigkeiten an den Tag gelegt habe als manche langgediente
Generäle in weniger kritischer Lage. Die Beziehungen der Botschaft zu
Freycinet waren sehr gut. Der Fürst und die Fürstin Hohenlohe verkehrten
freundschaftlich mit der Familie Freycinet, und der Fürst meinte einmal
scherzend zu mir: „Eigentlich könnten wir die Brücke zwischen Frankreich
und Deutschland dadurch schlagen, daß Philipp-Ernst Fräulein von
Freycinet heiratet.“ Philipp-Ernst war der älteste Sohn des Fürsten. Alle
solche kleine Liebenswürdigkeiten haben nicht verhindert, daß Freycinet
mit besonderem Eifer an dem Zustandebringen einer Allianz zwischen
Frankreich und Rußland gearbeitet hat. Daß seine Bemühungen Erfolg
hatten, war allerdings nicht nur sein Verdienst, sondern die Schuld der-
jenigen, die bei uns den Bismarckschen Rückversicherungsvertrag nicht
erneuern wollten.
Erster Sekretär unserer. Pariser Botschaft, als deren Zweiter Sekretär
ich nach Paris kam, war der Legationsrat von Thielmann. Die bekannte,