LEGATIONSRÄTE 485
in der Form etwas derbe, inhaltlich nicht unrichtige Bemerkung des Fürsten
Bismarck, daß die Paarung zwischen einem germanischen Hengst und einer
semitischen Stute bisweilen nicht üble Resultate ergebe, hatte sich auf zwei
deutsche Diplomaten bezogen, die damaligen Legationsräte Thielmann und
Berchem. Beide hatten jüdische Mütter, beide trugen den Vornamen Max,
beide waren arbeitstüchtig und arbeitsfreudig. Beide waren allzu eifrig,
etwas vorlaut, nicht immer taktvoll. Bismarck hatte weiter von ihnen
gesagt: „Berchem weiß alles, aber Thielmann weiß es immer noch besser.“
Als Graf Berchem in jungen Jahren als Geschäftsträger nach Stockholm
geschickt worden war, reichte er über schwedische politische Vorgänge und
wirtschaftliche Verhältnisse, über die blauen schwedischen Scen und die
stattlichen schwedischen Adels- und Königsschlösser fast täglich Berichte
ein, deren sachlicher Nutzen nicht ganz ihrem Umfang entsprach. Fürst
Bismarck meinte dazu: „Berchem scheint zu glauben, daß er Schweden
entdeckt hat.‘ Baron Thielmann kam es in erster Linie darauf an, alles
besser zu wissen und andere zu belehren. Unvergeßlich ist mir ein kleiner
Vorgang geblieben, der sich im Sommer 1881 zwischen ihm und dem fran-
zösischen Minister des Äußern, Herrn Barthelemy Saint-Hilaire, ab-
spielte. Der Botschafter Fürst Hohenlohe weilte in Aussee im Salzkammer-
gut, Thielmann wünschte Algier kennenzulernen und stellte mich für die
Zeit seiner Abwesenheit dem französischen Minister der Auswärtigen An-
gelegenheiten als interimistischen Geschäftsträger vor. Barthelemy Saint-
Hilaire hatte die Schwelle der siebziger Jahre schon längst überschritten.
Er war Professor am College de France. Er galt für einen hervorragenden
Gelehrten und war ungemein höflich und liebenswürdig. Nicht ohne
Redseligkeit entwarf er dem nach Nordafrika fahrenden deutschen Di-
plomaten ein Bild der großen französischen Kolonie, die dieser aufsuchen
wollte. Fast bei jedem Satz unterbrach ihn der um vierzig Jahre jüngere
Thielmann, um den Minister auf Irrtümer in seiner farbenreichen, wenn
auch etwas breiten Schilderung aufmerksam zu machen. Schließlich sagte
ihm dieser: „J’avais cru vous &tre agreable en vous faisant part des
impressions que j’ai rapportees moi-m&me de notre belle colonie africaine.
Mais comme vous en savez plus long que moi, je n’ai plus rien a vous dire
et vous souhaite bon voyage.““
Thielmann war ein großer Reisender, der seine Fahrten durch Nord-,
Mittel- und Südamerika in einem fast sechshundert Folioseiten langen Werk
unter dem Titel „Vier Wege durch Amerika“ beschrieben hat. Aber er war
kein Diplomat, wenn man unter Diplomatie die Kunst versteht, in einem
fremden Land Fuß zu fassen, Beziehungen anzuknüpfen, sich Freunde zu
machen und damit sich Einfluß und seinem Lande Sympathien zu ge-
winnen, Er erwarb sich im weiteren Lauf seiner Karriere den Ruf ungewöhn-
Thielmann
und Graf
Berchem