Philipp
Eulenburg
4,86 PHILI
licher Kapazität in Finanz- und Wirtschaftsfragen. Aber die Erwartungen,
die an seine 1897 erfolgte Ernennung zum Staatssekretär des Reichs-
schatzamtes geknüpft wurden, haben sich nicht erfüllt. „Mefiez-vous des
sp£cialistes‘‘, pflegte Thiers zu sagen.
Dritter Sekretär der Botschaft war Graf Philipp Eulenburg, dem
ich in Paris zum erstenmal begegnete. Er wurde von allen seinen Ver-
wandten und Freunden „Phili“ genannt. Er war zwei Jahre älter als ich.
Er sah ungewöhnlich gut aus. Groß gewachsen, mit schönen, etwas
melancholischen Augen, mit einer angenehmen, sympathischen Stimme,
mit den allerbesten Manieren, immer natürlich, ohne je ordinär oder gar
roh zu werden, war er eine aristokratische Erscheinung. Er war nach seinem
ganzen Wesen das, was die Franzosen einen Charmeur nennen. Geistig
war er durch und durch Dilettant und das auf allen Gebieten. Er lehnte
jede Technik ab und ließ nur die Inspiration gelten. Er war sehr musikalisch,
er spielte Klavier, er sang, er komponierte, er dichtete, aber alles, ohne sich
an ein Vorbild oder an eine Regel zu halten. In einer Pariser Gesellschaft
fragte er in meinem Beisein die große Sängerin Pauline Viardot-Garcia,
ob er ihr etwas vorspielen dürfe, und zwar eine von ihm selbst komponierte
Etüde. Sie hörte ihm aufmerksam zu, dann meinte sie: „Vous avez un joli
talent, mais je vous engage a Etudier le contrepoint.“ Phili erbleichte und
verstummte. Als wir zusammen nach Hause gingen, entlud sich sein Ärger
in heftigen Klagen über eine so verständnislose Kritik. „Ich werde mich
hüten“, meinte er, „den Kontrapunkt zu studieren. Das würde die Flügel
meines Genius lähmen.“ Selbst ganz unmusikalisch, habe ich ihm auf dem
Felde der Musik nicht widersprochen, aber auf anderen Gebieten manchen
freundschaftlichen Disput mit ihm gehabt. Namentlich in der Politik
lehnte ich die von vornherein Erfahrung und Technik ausschaltende
Inspiration, wenigstens als einzige Richtschnur, ab, und in künstlerischen
Fragen zitierte ich ihm Goethe:
Natur und Kunst, sie scheinen sich zu fliehen
Und haben sich, eh man es denkt, gefunden;
Der Widerwille ist auch mir verschwunden,
Und beide scheinen gleich mich anzuziehen.
Es gilt wohl nur ein redliches Bemühen!
Und wenn wir erst, in abgemessenen Stunden,
Mit Geist und Fleiß uns an die Kunst gebunden,
Mag frei Natur im Herzen wieder glühen.
So ist’s mit aller Bildung auch beschaffen:
Vergebens werden ungebundne Geister
Nach der Vollendung reiner Höhe streben.