DER EHRBARE KAUFMANN 33
So hat schon im achtzehnten Jahrhundert ein Hamburger Poet, der
biedre Friedrich von Hagedorn, zu Lob und Preis seiner Vaterstadt ge-
sungen, und das Selbstgefühl der freien und selbstbewußten Hamburger
Bürger hat inzwischen nicht abgenommen.
Das Hamburg, das vor den Augen meiner Kindheit lag, war das
Hamburg vor 1866, vor 1870, vor dem erst 1888 erfolgten Anschluß an den
Zollverein. Zwischen zehn und elf Uhr vormittags führte in jener Zeit eine
stattliche, mit vier Schimmeln bespannte Coach die Besitzer der Elbvillen
von Blankenese, Nienstedten und Flottbek ‚zur Stadt‘, nach Hamburg.
Diese Coach wurde die „weiße Dame“, die „Dame Blanche“, genannt, in
Erinnerung an die damals populäre Oper von Boieldieu. Im alten
Hamburg stand wirtschaftlich und gesellschaftlich der Reeder an erster
Stelle. Erst später entwickelte sich die Industrie an der Elbe. Ihre Vertreter
wurden nur allmählich und langsam in das Hamburger Patriziat auf-
genommen. Die Chefs der Handelsfirmen und der mit den Reederei-
Unternehmungen eng verbundenen Import- und Export-Häuser pflegten
gegen zwei Uhr nachmittags auf der Börse zu erscheinen: im Gehrock, mit
schwarzer Halsbinde und mit hohem, spiegelblankem Zylinder. Insbesondere
der Zylinder war das Symbol des „ehrbaren Kaufmannes“ und voll-
kommener „Wohlanständigkeit“. Alle Angestellten, auch die Prokuristen,
hatten im englischen schwarzen steifen Hut anzutreten. Der hohe graue
Hut wurde nur von den Senatoren und den Syndici getragen. Das war die
Tradition.
Was im alten Hamburg Tradition war, kam meist aus England.
In der Londoner City wurde Hamburg ‚‚die Vorstadt von London“ genannt.
London und England waren für Hamburg und ähnlich für Bremen in der
ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts von gleichem Nimbus umgeben
wie Paris und die französische Kultur für Frankfurt am Main und die
Rheinufer. Ein Hamburger Patrizier großen Stils, ein Jenisch, Godeffroy,
Rücker, Schröder, Amsinck, mußte ein Stadthaus auf der Esplanade, am
Jungfernstieg oder an den Großen Bleichen, ein Landhaus an der Elbe und
ein Rittergut in Holstein oder Mecklenburg besitzen.
Meine Großmutter Rücker war die älteste Tochter des Senators Martin
Johann Jenisch, dessen Familie als die erste in Hamburg galt. Auch sie
kam aus Süddeutschland. Sie hatte vor der Reformation in Augsburg
geblüht, der Heimat der Fugger und Welser, aber während der Reformations-
wirren die Stadt am Lech des Glaubens wegen verlassen und sich nach
Hamburg gewandt. Auch sie hatte der Elbstadt unter deren alter Ver-
fassung, die der „Reisende Franzose‘ das glücklichste bisher gefundene
Mittelding zwischen Aristokratie und Demokratie nannte, manchen
trefflichen Senator, Syndikus und Bürgermeister gestellt. Martin Johann
3 Bülow IV
Rücker-
Jenisch