Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

Henckel und 
Bleichröder 
494: DIE PAIVA 
sie in jungen Jahren verführt, dann verlassen worden. Nach einer längeren 
Irrfahrt durch Polen und Rußland war sie in Moskau von dem französischen 
Pianisten H. bemerkt worden, von dem sie später ein russischer Fürst D. 
übernahm, der sie nach Paris brachte. Als der Russe starb, verfiel sie dem 
Elend. Es wurde in Paris erzählt, daß eines Abends in der Avenue des 
Champs-Elysees ein „Sergeant de ville“ sie roh angefahren und mit einem 
brutalen Stoß zu Boden geworfen habe. Als sie sich mühsam wieder erhob, 
soll sie sich gelobt haben, an dieser Stelle ihrer größten Schmach einmal 
ein schönes Palais für sich zu erbauen. Jedenfalls lächelte ihr nach tiefstem 
Fall bald das Glück. Sie begegnete dem um vier Jahre jüngeren, reichen 
Grafen Guido Henckel, den sie seitdem bis zu ihrem 1884 erfolgten Tode 
völlig beherrschte. Da ihr und ihm ihr bisheriger Familienname so wenig 
gefiel wie ihr Vorname, so vertauschte sie den letzteren mit dem besser 
klingenden „Blanche“ (die Weiße, die Reine). Gleichzeitig sicherte ihr Graf 
Henckel als Gatten einen verkrachten portugiesischen Diplomaten, und 
so wurde sie die Marquise Blanche de Paiva. 
Bismarck, der schon vor dem Deutsch-Französischen Krieg von den 
Fähigkeiten des Grafen Guido Henckel gehört hatte, ließ ihn nach Sedan in 
das Hauptquartier kommen und sagte ihm, daß er ihn für Metz in Aussicht 
genommen habe, sobald diese Stadt kapituliert haben würde. Henckel hat 
mir oft erzählt, daß Bismarck ihm schon damals, Mitte September 1870, 
vertraulich gesagt habe, Metz müsse deutsch werden. Als Präfekt von 
Metz schnitt Henckel gut ab. Noch zwei Jahre später, als ich in Metz am 
Landgericht und an der Präfektur arbeitete, sagte mir ein biederer Metzer 
Bürger: „Le comte Henckel! Ah, voila un prefet qui nous plaisait. Il se 
promenait dans un beau phaeton qu’il conduisait lui-m&me. Ilavaitäa cöte 
de lui sa maitresse, une cocotte tres-chic. En somme, un homme fort 
distingue.“ 
Für die Waffenstillstandsverhandlungen in Versailles wurde Henckel ins 
Hauptquartier zitiert. Gegenüber Bleichröder, der gemeint hatte, 
Frankreich könne höchstens eine Milliarde Kriegsentschädigung zahlen, 
vertrat Henckel die richtigere Ansicht, daß das reiche Land mit Leichtigkeit 
> Milliarden aufbringen würde. Er begründete diese seine Ansicht in einer 
während der Nachtin wenigen Stunden aufgesetzten, glänzend geschriebenen 
Denkschrift, für die er als statistische Grundlage nur den Gothaischen 
Kalender hatte benutzen können. Allerdings kam ihm sein vortreffliches 
Gedächtnis zu Hilfe. Als Fürst Bismarck nach der Wiederherstellung des 
Friedens Henckel frug, ob er preußischer Finanzminister werden wolle, 
lehnte dieser jede amtliche Verwendung mit der Motivierung ab, daß er im 
Begriff stehe, eine Heirat zu schließen, die mit einer amtlichen Stellung 
nicht vereinbar sei.
	        
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