Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

DINERGÄSTE 495 
Er heiratete im Oktober 1871 in Paris die Marquise de Paiva, deren 
portugiesischer Scheingatte sich inzwischen erschossen hatte, und hat mit 
ihr noch dreizehn Jahre in glücklicher Ehe gelebt, in dem prachtvollen 
Palais, das sich die Gräfin Blanche in der Avenue des Champs-Elysces 
erbaut hatte, an derselben Stelle, wo sie einst von dem rohen Sergeant de 
ville mißhandelt worden war. Ich habe oft bei dem Grafen und der Gräfin 
Guido Henckel diniert. Die Zahl der Gerichte und die Raffiniertheit ihrer 
Zubereitung erinnerten an das Gastmahl des Trimalchio, das uns Petronius 
so prächtig beschrieben hat. Die Unterhaltung bei Tisch drehte sich meist 
um das Essen. „Comment trouvez-vous ce potage?“ fragte mit Ernst einer 
der Gäste seinen Nachbarn. Und der Gefragte erwiderte ebenso ernst: 
„Avant de repondre a une question aussi importante il faut reflechir 
mürement. Ce potage me rappelle un potage que j’ai mange, il y a bien des 
anne@es chez le Duc de Morny. Mais l’inoubliable chef de notre ami Morny 
avait une maniere d’assaisonner ses potages que le chef de ce bon Henckel 
n’a pas encore attrappee.‘“ Und der andere beruhigend: „Esperons qu’il y 
arrivera avec le temps. Et alors ses potages seront aussi parfaits que ceux 
qu’on mangeait chez Morny.““ Ich brauche kaum zu sagen, daß dieser 
Sybaritismus, eine solche Verbindung von Schlemmerei und geistigem 
Stumpfsinn mir nicht besonders gefielen, und doch waren unter den Gästen 
des Grafen und der Gräfin Guido Henckel geistreiche Leute. Ich denke 
dabei an Henry de Houssaye, den Mitarbeiter des ‚Journal des Debats“ 
und der „Revue des Deux Mondes“, der einen nicht üblen Essay über den 
liederlich-genialen Alkibiades geschrieben hatte und später interessante 
Studien über die Campagne de France des Jahres 1814 und über die 
Schlacht von Waterloo veröffentlichte. Er war ein intimer Freund der 
Gräfin Blanche. Ihn hatte sie um eine hübsche Sentenz als Inschrift über 
der herrlichen Onyx-Treppe ihres Palais gebeten. Henry de Houssaye 
improvisierte sofort: „Le vice comme la vertu a ses degres.““ Das Wort 
„degres“‘ bedeutet auf französisch sowohl die Treppenstufen wie die Ab- 
stufungen und Nuancen in moralischer Hinsicht. 
Ein häufiger Gast des Hauses war auch der damals schon mehr als 
siebzigjährige Emile de Girardin, der Erfinder des modernen franzö- 
sischen Geschäftsjournalismus. Er rühmte sich, in seinem Leben vierzehn 
Zeitungen gegründet zu haben, die er von Zeit zu Zeit wohlgefällig auf- 
zählte. Er hatte in der konservativen „La Presse‘ die Juli-Monarchie, in 
der „‚Libert€‘“ das zweite Kaiserreich, in der „Defense nationale‘ Gambetta 
verteidigt und in der „‚Union francaise“ eine förderalistische Neugestaltung 
Frankreichs vorgeschlagen. Während meiner Pariser Zeit leitete er die 
„France“. Emile de Girardin hatte die anrüchigsten Börsenspekulationen 
unternommen. Unter Louis Philippe hatte die Regierung mehrere wegen 
Der Palast in 
den Elyse6es 
Emile 
de Girardin
	        
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