Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

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Inmitten ihrer Pariser Gäste thronte die Gräfin Blanche Henckel von 
Donnersmarck. Unförmlich dick und dabei mehr als tief dekolletiert, ge- 
schminkt und bemalt, mit Brillanten, Rivieren und Perlenschnüren über- 
laden, so saß sie da wie eine indische Pagode. Aber sie war eine geistig 
bedeutende Frau. Sie sprach Deutsch wie Französisch mit jiddischem 
Akzent, aber was sie sagte, war nicht banal. Es wurde behauptet, und ich 
glaube, mit Recht, daß ihr Gatte nie ein geschäftliches Unternehmen be- 
gann, hie eine große Spekulation riskierte, ohne die „Paiva“, so wurde 
sie noch immer in Paris genannt, konsultiert zu haben. Als die Paiva 1884 
starb, trat bei der Beisetzung in Neudeck Guido Henckel, wie er mir 
nachher selbst erzählte, an ihre Bahre, legte seine Hand auf den Sarg, 
musterte die anwesenden Verwandten und sprach zu ihnen: „Daß die Frau, 
die in diesem Sarge liegt, mich geheiratet hat und mir während dreizehn 
Jahre eine liebende Gattin war, ist der größte Stolz meines Lebens.“ 
Mit sarkastischem Lächeln fügte Guido Henckel hinzu: „Und alle meine 
Vettern, Nichten und Neffen verbeugten sich vor dem reichen Erbonkel.“ 
Wenn Guido Henckel und seine Gattin an Balzacsche Gestalten er- 
innerten, so war ein anderes Mitglied der deutschen Kolonie von Paris, der Herr 
Hamburger Kaufmann Adolf Keßler, ein Beweis dafür, wie ein folgsamer von Keßler 
Gatte mit Hilfe seiner Frau auf der gesellschaftlichen Leiter hoch und 
immer höher klimmen kann. Es gibt ein reizendes Gedicht von Beranger, 
das mit den Worten beginnt: 
Mon epouse fait ma gloire, 
Rose a de si jolis yeux. 
Ein glücklicher Ehemann erzählt, daß erseinen Aufstieg der Freundschaft 
eines Senators verdankt, die ihm ohne die schönen Augen seiner Frau kaum 
zuteil geworden wäre. 
Quel honneur! 
Quel bonheur! 
Ah! Monsieur le senateur. 
Je suis votre humble serviteur. 
Frau Keßler, die von anglo-indischer Abstammung war, hatte wie die 
Rose des alten Beranger recht hübsche Augen. Nichts war begreiflicher, 
als daß der ritterliche Generaladjutant Graf Heinrich Lehndorff, einer der 
treusten Paladine unseres alten Kaisers, ihr, als er ihr in Ems begegnete, 
selbstverständlich in allen Ehren, huldigte und die von ihr lebhaft ge- 
wünschte Erhebung ihres biederen Gatten in den Adelsstand an aller- 
höchster Stelle anregte und erreichte. Aber auch auf gesellschaftlichem 
Gebiet gilt das Wort, daß der Appetit beim Essen kommt. Frau von Keßler 
32 Bülow IV
	        
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