Ä LA BALZAC 497
Inmitten ihrer Pariser Gäste thronte die Gräfin Blanche Henckel von
Donnersmarck. Unförmlich dick und dabei mehr als tief dekolletiert, ge-
schminkt und bemalt, mit Brillanten, Rivieren und Perlenschnüren über-
laden, so saß sie da wie eine indische Pagode. Aber sie war eine geistig
bedeutende Frau. Sie sprach Deutsch wie Französisch mit jiddischem
Akzent, aber was sie sagte, war nicht banal. Es wurde behauptet, und ich
glaube, mit Recht, daß ihr Gatte nie ein geschäftliches Unternehmen be-
gann, hie eine große Spekulation riskierte, ohne die „Paiva“, so wurde
sie noch immer in Paris genannt, konsultiert zu haben. Als die Paiva 1884
starb, trat bei der Beisetzung in Neudeck Guido Henckel, wie er mir
nachher selbst erzählte, an ihre Bahre, legte seine Hand auf den Sarg,
musterte die anwesenden Verwandten und sprach zu ihnen: „Daß die Frau,
die in diesem Sarge liegt, mich geheiratet hat und mir während dreizehn
Jahre eine liebende Gattin war, ist der größte Stolz meines Lebens.“
Mit sarkastischem Lächeln fügte Guido Henckel hinzu: „Und alle meine
Vettern, Nichten und Neffen verbeugten sich vor dem reichen Erbonkel.“
Wenn Guido Henckel und seine Gattin an Balzacsche Gestalten er-
innerten, so war ein anderes Mitglied der deutschen Kolonie von Paris, der Herr
Hamburger Kaufmann Adolf Keßler, ein Beweis dafür, wie ein folgsamer von Keßler
Gatte mit Hilfe seiner Frau auf der gesellschaftlichen Leiter hoch und
immer höher klimmen kann. Es gibt ein reizendes Gedicht von Beranger,
das mit den Worten beginnt:
Mon epouse fait ma gloire,
Rose a de si jolis yeux.
Ein glücklicher Ehemann erzählt, daß erseinen Aufstieg der Freundschaft
eines Senators verdankt, die ihm ohne die schönen Augen seiner Frau kaum
zuteil geworden wäre.
Quel honneur!
Quel bonheur!
Ah! Monsieur le senateur.
Je suis votre humble serviteur.
Frau Keßler, die von anglo-indischer Abstammung war, hatte wie die
Rose des alten Beranger recht hübsche Augen. Nichts war begreiflicher,
als daß der ritterliche Generaladjutant Graf Heinrich Lehndorff, einer der
treusten Paladine unseres alten Kaisers, ihr, als er ihr in Ems begegnete,
selbstverständlich in allen Ehren, huldigte und die von ihr lebhaft ge-
wünschte Erhebung ihres biederen Gatten in den Adelsstand an aller-
höchster Stelle anregte und erreichte. Aber auch auf gesellschaftlichem
Gebiet gilt das Wort, daß der Appetit beim Essen kommt. Frau von Keßler
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