Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

Rückkehr 
nach Paris 
500 EINE WEIMARANERIN 
tiefste wie die zarteste aller Sprachen ist, die unübertroffene Sprache der 
Philosophie und der Lyrik. Die Kaiserin Augusta sprach ein edles Deutsch, 
wie es, wie ich annehme, Frau Charlotte von Stein gesprochen haben wird. 
Was ihr gelegentlich als Affektation vorgeworfen wurde, war richtige Ein- 
schätzung der Form, die der Deutsche schon vor einem halben Jahrhundert 
in bedauerlicher Weise zu unterschätzen anfıng. Sie war ungewöhnlich 
gebildet. Ihr Kabinettsrat, mein alter Kriegskamerad Bodo von dem 
Knesebeck, hat unter ihrer Leitung aus großen Schriftstellern aller Zeiten 
und aller Völker eine kleine Sammlung schöner und tiefer Gedanken zu- 
sammengestellt, die in ihrer Prägnanz wohl die beste mir bekannte deutsche 
Chrestomathie ist. Als Motto gab die Kaiserin Augusta diesem Büchlein die 
Worte aus den „Wanderjahren‘“: „Große Gedanken und ein reines Herz, 
das ist’s, was wir uns von Gott erbitten sollten.“ 
Die Kaiserin Augusta hatte zuviel Takt, um gegenüber einem jungen 
Beamten des Auswärtigen Amtes dessen großen Chef anders als in bester 
Form und mit vollkommener Courtoisie zu kritisieren. Sie hob aber hervor, 
was sie meinem Vater, den sie schätzte, öfters gesagt hätte, daß es sich nach 
ihrer Überzeugung, auch wenn wir Frankreich für unversöhnlich hielten, 
doch empfehle, unserem Nachbar gegenüber das „suaviter in modo“ nicht zu 
vergessen. „Verfallen wir nicht in den Fehler, der Napoleon I., der auch 
Nikolaus I. geschadet hat, das Selbstgefühl anderer Leute zu sehr zu 
verletzen.‘‘ Dann kam sie auf die innere Politik des Fürsten Bismarck, der 
sie mit noch mehr Bedenken gegenüberstand als seiner auswärtigen. „Sie 
wissen durch Ihren Vater‘, meinte sie, „wie sehr ich die kirchenpolitischen 
Wirren beklagt habe. Ich habe deren schädliche Wirkung in der mir 
besonders teuren Rheinprovinz nur zu sehr beobachten können. Es ist für 
mich schwer begreiflich, daß ein so genialer Staatsmann, wie es Fürst 
Bismarck ja zweifellos ist, erst das allgemeine Stimmrecht einführen und 
dann den kirchenpolitischen Kampf beginnen konnte, der kaum mit einem 
Erfolg für ihn endigen wird. Möge es ihm mit den Sozialisten nicht ebenso 
gehen! Gegen das allgemeine Stimmrecht ohne jede Einschränkung, jede 
Kautel, haben, als Bismarck es einführte, viele Liberale, wie Twesten, 
Gneist, Schultze-Delitzsch und Sybel, ernste Bedenken gehabt. Auch 
Savigny und Windthorst hatten schwere Bedenken.“ 
Von Ems kehrte ich im August nach Paris zurück, wo im März der 
Unterrichtsminister Jules Ferry mit zwei einschneidenden Gesetzentwürfen 
den Krieg gegen die katholische Kirche eröffnet hatte, der ihr schon im 
Herbst von Gambetta angekündigt worden war. Der erste dieser Entwürfe 
modifizierte die Zusammensetzung und die Befugnisse des Obersten 
Unterrichtsrates in kirchenfeindlichem Sinne. Der zweite entzog den 
katholischen Universitäten das Recht zur Verleihung der akademischen
	        
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