Großmutter
Rücker
36 KOMPENSATIONEN DER NATUR
Grafen Otto Grote, der vor 1866 Hannover in St. Petersburg vertrat und
auch nach 1866 ein intransigenter Welfe blieb, die jüngere einen Grafen
Vitzthum, der viele Jahre als Zeremonienmeister am preußischen Hof mit
Eifer und Geschick bei Hoffesten seines Takt und Umsicht heischenden
Amtes waltete. Die Tochter der Gräfin Helene Vitzthum war die zu früh
verstorbene erste Frau meines Bruders Adolf, eine große Schönheit ebenso
wie ihre Schwester, die Gräfin Freda Klinkowström. Die Enkelin der Gräfin
Marie Grote ist meine anmutige Base, die Baronin Thyra Jenisch. Am Ufer
des Ilissos betete Sokrates zu den unsterblichen Göttern: „OÖ lieber Pan,
und ihr Götter, die ihr sonst hier zugegen seid, verleiht mir, schön zu sein
im Innern, und daß, was ich Äußeres habe, dem Inneren befreundet sei.“
Auch wenn die Götter nur den ersten Teil dieses Gebetes erhören, braucht
der häßlichste Mann nicht daran zu verzweifeln, daß schöne Kinder und
Enkel sein Alter erfreuen werden. Vor allem kann er hoffen, daß ihm eine
gute, liebende Frau beschieden sein wird.
Mein Onkel Gottlieb Jenisch war übrigens ein hervorragender Sports-
mann, der gleich gut ritt und fuhr. Sein Haus war das stattlichste an der
Binnenalster, am Alten Jungfernstieg. Von seinem Landhaus an der Elbe,
der „„Bost‘‘, hatte er einen weiten Ausblick auf den mächtigen Strom bis
hinunter nach Schulau und Stade. In Mecklenburg gehörte ihm das
Rittergut Varchentin mit schönem Schloß und Park. Ich weiß nicht, ob
Schiller recht hat, wenn er behauptet, die Natur sei immer gerecht. Aber
sie gewährt meist Kompensationen. Wenn sie dem Menschen das eine
versagt, so entschädigt sie ihn gern anderweitig.
Ich kehre zu meinem Onkel Alfred Rücker zurück, dem jüngeren
Bruder meiner Mutter. Er war jung Gesandter der Hansestädte in London
geworden, wo er der königlichen Familie nähertrat und namentlich von der
Königin Victoria geschätzt wurde, woran mich Eduard VII. oft und gern
erinnerte. Er hat schöne Reisen in Italien, Griechenland und Spanien
unternommen, zum Teil in Begleitung des ihm befreundeten Altertums-
forschers Ernst Curtius, des Erziehers des nachmaligen Kaisers Friedrich
und Verfassers einer vielverbreiteten „Griechischen Geschichte“. Alfred
Rücker ist als Hamburger Senator in seiner Vaterstadt jung gestorben.
Sein Sohn, der Freiherr Martin Rücker-Jenisch, trat in deutsche diplo-
matische Dienste, stand bei Wilhelm II. sehr in Gunst und war der einzige
Diplomat, den der Kaiser mit nach Rominten nahm, wo er sogar einmal die
Erlaubnis erhalten haben soll, einen Hirsch zu schießen, was in den Augen
Seiner Majestät eine der größten Auszeichnungen war, die einem Sterblichen
zuteil werden konnten.
Mein Großvater Rücker starb bald nach meiner Geburt. Ich habe ihn
nicht mehr gekannt. Meine Großmutter Rücker war eine gute, sanfte und