DIE SÄULEN VON PERDÖL 37
liebe Frau. Sie hatte den Schmerz gehabt, zwei Töchter im blühendsten
Alter zu verlieren, denen sie in ihrem Flottbeker Park ein Denkmal
errichtete, das ein italienischer Bildhauer in italienischem Marmor aus-
geführt hatte und das wir mit Wehmut betrachteten. Meine Großmutter
hatte, von meiner Mutter begleitet, Italien noch in der alten guten Weise
bereist, d.h. nicht mit der Eisenbahn, sondern mit Wagen und Pferden.
So fuhr sie von Hamburg nach Rom, von Rom nach Neapel und von
Neapel zurück an die Elbe. In seiner trefflichen Geschichte der Deutschen
in Rom gedenkt Friedrich Noack ihres Besuches in der Ewigen Stadt und
der Unterstützungen, die sie dort talentvollen deutschen Künstlern an-
gedeihen ließ. In meinem Eßzimmer in Flottbek stehen noch heute eine
Tänzerin aus karrarischem Marmor und ein David mit der Schleuder aus
demselben Material, die meine Großmutter vom Tiber an die Elbe brachte.
Der älteste Sohn meiner Großmutter, Wilhelm Rücker, hat sein Leben in
ruhiger Beschaulichkeit auf seinem holsteinischen Gute Perdöl verbracht.
Die Säulen, auf denen das Dach von Perdöl ruht, habe ich als Kind sehr
bewundert. Ich sah aber später ein, daß die Säulen des Parthenon noch
schöner sind. Mein Onkel Wilhelm besaß nicht den Bildungstrieb und den
Geist seines jüngeren Bruders. Als er einmal in die Schweiz reiste, wurde
mein Vater gefragt, ob sein Schwager dort größere Bergbesteigungen unter-
nommen habe. Mein Vater erwiderte: „Meines Wissens hat der gute Wil-
helm nur das Faulhorn bestiegen!“ Diese Anspielung auf die Trägheit
meines Oheims erweckte große Heiterkeit bei mir. Ich habe immer eine
Schwäche für Witze gehabt, selbst wenn sie, was mir in meiner politischen
Laufbahn wiederholt passierte, auf meine Kosten gemacht wurden. Aber
allerdings goutiere ich nur wirklich gute Witze, die im deutschen öffent-
lichen Leben nicht häufig sind. Ich glaube übrigens, daß mein Onkel Wil-
helm mit seinem Ruhebedürfnis und gerade durch dieses alles in allem
glücklicher geworden ist als viele andere, die mit dem griechischen Weisen
das Leben in der Bewegung suchen. Vom Standpunkt des Eudämonismus
aus hat er also recht gehabt. Der jüngste Sohn meiner Großmutter, ihr
Lieblingssohn Oskar, war in frühester Jugend einem tückischen Leiden er-
legen, der Dyskrasie, einer Blutkrankheit, an der auch der letzte russische
Zarewitsch gelitten haben soll. Die Mutter meiner Mutter steht vor mir als
alte, völlig gebrochene Frau, die weinend „Oskar, Oskar‘“ murmelt und
immer wiederholt: „Er war so lieb, er war so gut, ach, ein so liebes Kind,
und mußte so leiden und so früh sterben.“
Das Landhaus meiner Großmutter Rücker lag an der Flottbeker
Chaussee. Es war ein Fachwerkbau, aber in seiner Einfachheit geschmack-
voller als die moderneren, meist überladenen Gebäude. In diesem Hause
habe ich am 3. Mai 1849 das Licht der Welt erblickt. Neben dem Hause lag
Bülows
Geburtshaus