Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

Das 
Ministerium 
Gambetia 
516 DER KULISSENDIKTATOR VOR DER RAMPE 
Erfolge erringen kann, wenn sie ein Musterbild für die Erfüllung aller 
Anforderungen der Ehre und der Pflicht bleibe, wenn sie unter allen 
Umständen sich die strengste Disziplin erhalte, wenn der Fleiß in der Vor- 
bildung für den Krieg nie ermüde, wenn auch das Geringste nicht mißachtet 
werde, um der Ausbildung ein festes und sicheres Fundament zu geben. 
Am 10. November 1881 reichte nach einer für ihn ungünstig verlaufenen 
Debatte über die Tunesische Expedition der Ministerpräsident Jules Ferry 
seine Entlassung ein. Der Präsident der Republik, Jules Grevy, beauftragte 
Gambetta mit der Neubildung des Kabinetts. Wie bei Schiller die Fürstin- 
Mutter von Messina, der Not gehorchend, nicht dem eigenen Tricbe, folgte 
Gambetta dieser Aufforderung. Er würde es bei weitem vorgezogen haben, 
sich noch einige Zeit zurückzubalten. Aber er fühlte, daß angesichts der 
um sich greifenden Mißstimmung über seine Kulissendiktatur (gouvernement 
occulte) ihm keine andere Wahl blieb, als vor die Rampe zu treten. Alle 
Welt erwartete ein großes Kabinett (le grand ministere). Die Bildung eines 
solchen gelang Gambetta jedoch nicht, da keiner der hervorragenden 
Politiker, an die er sich wandte, Jules Ferry und Leon Say, Henri Brisson 
und Rene Goblet, Humbert und Tirard, Lust zeigte, in seinen Kahn zu 
steigen. Selbst Freycinet, sein vertrauter Mitarbeiter in der Regierung der 
Nationalverteidigung, gab ihm einen Korb. So bildete er rasch entschlossen 
ein Kabinett aus persönlichen Freunden: Waldeck-Rousseau erhielt das 
Innere, der später viel genannte Rouvier Handel und Kolonien, Gambetta 
selbst übernahm mit dem Präsidium das Ministerium des Äußern. Zum 
Uuterstaatssekretär bestimmte er einen seiner Intimen, Eugen Spuller. 
Der war der Sohn eines eingewanderten Badeners, aber im Departement 
Cöte d’Or geboren, wo der beste Burgunderwein wächst, und ein wasch- 
echter, sehr chauvinistischer Franzose. Das verhinderte die Opposition nicht, 
den armen Spuller als „Badois“ zu verhöhnen und zu verdächtigen. Als 
Kabinettschef wählte sich Gambetta Herrn Joseph Reinach, der, als 
Sohn israelitischer Eltern in Frankfurt a. M. geboren, sich nach seiner 
Einwanderung in Frankreich durch leidenschaftlichen französischen 
Nationalismus hervortat und bis heute hervortut. 
Kurz nach der Bildung des neuen Kabinetts fand Gambetta zu Ehren 
in der Deutschen Botschaft ein großes Diner statt. Der neue Minister- 
präsident begrüßte mich mit alter Freundlichkeit. Er sah müde und ab- 
gespannt aus. Henri Rochefort, der einst gegen das Second Empire Schulter 
an Schulter mit Gambetta gekämpft hatte, war jetzt sein giftiger Gegner 
geworden. Er hatte den von Gambetta nach Tunis entsandten Minister- 
residenten Rousten derartig verdächtigt, daß der angegriffene Beamte gegen 
ihn Klage erheben mußte. Im Prozeß kam allerhand Unerfreuliches zur 
Sprache, das zu neuen Angriffen gegen Gambetta führte. Als er mich nach
	        
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