PRÄTENDENTEN 521
Bismarck an, als er Plon-Plon im Winter 1892/93 in Rom im Hause meiner
Schwiegermutter begegnete. Der Sohn des Prinzen Jeröme Napoleon, der
1862 geborene Prinz Victor, galt für einen Trottel. Noch 1848 hatte
das unermeßliche Prestige des Namens Napoleon die Wiedererrichtung des
Kaiserreiches unter dem phantastischen und innerlich schwachen Napo-
leon III. ermöglicht. Dreißig Jahre später hatte das Haus des großen
Korsen nach menschlichem Ermessen für immer ausgespielt.
Dagegen schien die Familie Orleans in der ersten Hälfte der achtziger
Jahre bessere Aussichten zu haben. Sie lebte ungeniert in Paris, und ich bin
ihren Mitgliedern oft in der Gesellschaft begegnet. Der damals kaum vierzig-
jährige Chef des Hauses, der Graf von Paris, war mehr seiner deutschen
Mutter, einer mecklenburgischen Prinzessin, als seinem französischen Vater,
dem brillanten Herzog Ferdinand von Orleans, nachgeschlagen, der 1842
durch einen Wagenunfall das Leben verloren hatte. Der Graf von Paris
machte einen gediegenen, gebildeten, aber in keiner Weise glänzenden Ein-
druck. Es fehlte ihm der Panache, den der Franzose liebt. Sein Bruder, der
Herzog Robert von Chartres, erinnerte mehr an den Urahn Henri IV, qui
fit le diable a quatre. Der Herzog galt für einen Kurmacher, hatte sich im
Kriege von 1870/71 unter einem angenommenen Namen als einfacher
Soldat gut geschlagen und kommandierte während meiner Pariser Zeit als
Oberst ein Regiment Reitender Chasseurs. Der Herzog Louis von Nemours
war stocktaub und ging ganz in brasilianischen Interessen auf, nachdem
sein Sohn, der Graf von Eu, sich mit der Tochter und Erbin des Kaisers
Pedro II. von Brasilien vermählt hatte. Dasselbe galt von dem Prinzen
Franz von Joinville, der gleichfalls eine brasilianische Prinzessin zur Frau
hatte. Der Herzog Anton von Montpensier, Gemahl einer Schwester der
Königin Isabella II. von Spanien, war seit seiner Heirat zum Spanier ge-
worden. Sehr sympathisch war die Herzogin Sofie von Alencon, geborene
Herzogin in Bayern, eine Schwester der Kaiserin Elisabeth von Österreich
und der Königin Maria Sofia von Neapel. Sie begrüßte mich, wenn sie mir
begegnete, immer in deutscher Sprache und mit Freundlichkeit. Sie ist 1897
bei einem großen Brandunglück ums Leben gekommen, wo sie die an-
wesenden Männer durch ihre Kaltblütigkeit und ihren Mut beschämte.
Der weitaus bedeutendste Sproß des Hauses Bourbon-Orleans war der
1822 geborene Herzog Henri von Aumale. Er hat mich zweimal mit einer
Einladung nach seinem prächtigen Schloß Chantilly beehrt. Er machte die
Honneurs in dem historischen Schloß der Familie Conde als Grandseigneur.
Er behandelte mich jungen Mann mit derselben vollendeten Courtoisie wie
die von ihm eingeladenen Generäle, seine alten Kameraden, und wie die
Mitglieder der Academie-Francaise, der er selbst angehörte und der er später
sein Schloß Chantilly hinterließ. Bei einem Rundgang durch das Schloß
Die Familie
Orleans
Aumale