Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

DIE EITLEN 533 
ehelichen Verkehr mit seiner Frau einzustellen. Monia Ouroussow war sehr 
originell, bisweilen exzentrisch, wie das bei russischen Frauen nicht selten 
ist. Aber sie war eine Idealistin im wahren Sinne des Wortes. Sie ordnete den 
einigermaßen utopistischen Ideen, zu denen sie sich bekannte, alle Kon- 
ventionen und materiellen Interessen unter. Sie besaß eine tiefe Bildung. 
Sie kannte Shakespeare so gut wie Moliere und Puschkin. Es war ein 
Genuß, mit ihr über Literatur zu sprechen. Sie war nicht schön, noch 
weniger elegant, gar nicht gepflegt, so daß von Kurmacherei nicht wohl die 
Rede sein konnte. Sie hat einen günstigen Einfluß auf mich gehabt, indem 
sie mich nach Möglichkeit von allem Äußerlichen und Frivolen abhielt und 
mich immer wieder auf die wahren Quellen dauernden Glücks, auf das Ge- 
fühl und den Geist, hinwies. Sie scheı:kte mir einen Shakespeare, der noch 
heute neben meinem Schreibtisch steht und in den sie hineinschrieb: ‚To 
thine own self be true.“ 
Bei ihr bin ich oft Iwan Sergejewitsch Turgenjew begegnet. Er war 
ein großer Schriftsteller und ein sehr sympathischer Mensch, in seinem 
Wesen wie in seiner Konversation. Er war frei von jener Eitelkeit, die bis- 
weilen die brillantesten französischen Causeure unausstehlich macht. Er 
hatte auch nicht das Dozierende mancher gelehrter Deutscher, die sich 
allzusehr in langen Vorträgen gefallen und deren Rechthaberei nur zu leicht 
aus der Konversation eine Disputation macht. Turgenjew sprach, wie er 
schrieb, klar, tief und anmutig. Er war politisch nicht besonders deutsch- 
freundlich. Aber seine Bewunderung für die deutsche Philosophie und 
Literatur und namentlich für Goethe war unbegrenzt. Er sagte einmal zu 
mir, in einem einzigen lyrischen Gedicht von Goethe stecke mehr wahre 
Poesie als in allen Oden und Balladen, als in den „Orientales“‘, der „Rayons 
et Ombres‘‘ und den „Contemplations“ von Victor Hugo. Er mokierte sich 
gern über die grenzenlose Eitelkeit des nach seiner Ansicht in Frankreich 
sehr überschätzten Hugo. Dieser hatte einmal zu Turgenjew geäußert, er 
finde den in Deutschland so sehr bewunderten „Torquato Tasso‘“ von 
Schiller gar nicht besonders schön. Als Turgenjew bescheiden darauf auf- 
merksam machte, daß der ,„Torquato Tasso‘ von Goethe verfaßt worden 
sei und nicht von Schiller, antwortete Victor Hugo, indem er mit einer 
olympischen Bewegung das Haupt schüttelte: „Quand on s’appelle Victor 
Hugo, on n’est pas tenu a connaitre toutes les me&diocrites d’Outre-Rhin.“ 
An Selbstüberschätzung stand Alexandre Dumas fils nicht hinter Victor 
Hugo zurück. Nur daß der letztere seinen Hochmut in feierlicher, priester- 
licher Art zur Schau trug, der andere zynisch und frech. Als Dumas einmal 
bei einer Abendgesellschaft neben der Fürstin Ouroussow Platz nahm, frug 
er sie, ob der Gedanke, daß ein so berühmter und genialer Schriftsteller sich 
neben sie setze, ihr nicht den Kopf verdrehe und ob sie ihm um den Hals 
Turgenjew
	        
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