40 ERSTE SEEFAHRT
freund war mir der Sohn des Hamburger Syndikus Merck. Syndikus nannte
man den Senator, der die auswärtigen Geschäfte der „Freyen und Hansa-
stadt“ vornahm und deren auswärtige Politik leitete. Ein Vorgänger des
Syndikus Merck, der Syndikus Gries, begegnete einmal dem gern witzelnden
Literarhistoriker und Ästhetiker Friedrich Schlegel, der ihn mit den Worten
anredete: „Wie geht’s, lieber Grindikus Süß?“ Schlagfertig erwiderte
dieser: „Ganz gut, bester Schriedrich Flegel.““ Mein Jugendfreund Arthur
Merck ist in späteren Jahren nach England gezogen und dort zum Eng-
länder geworden. Wieviel Blätter, kleine und große, gute und schlechte,
wieviel Zweige und Äste hat die deutsche Eiche verloren seit den Tagen der
Völkerwanderung!
Aus dem Haus unserer Großmutter sahen wir täglich die Schiffe vor-
überziehen, die fremde Meere, weit entfernte, wunderbare Länder auf-
suchten. Groß war mein Wunsch, auch einmal eine Seefahrt unternehmen
zu können, groß meine Freude, als mein Vater mir ankündigte, daß ich am
nächsten Tage die Probefahrt eines neuen Dampfers mitmachen dürfte, die
mich bis nach Helgoland und um die Insel herumführen würde. Begeistert
bestieg ich am Morgen mit meinem Vater in St. Pauli das stattliche Schiff.
Rasch und ohne Zwischenfall verlief die Fahrt bis Cuxhaven. Dort wurde
zum Essen gerufen. Mein Vater speiste mit den Honoratioren auf dem Ober-
deck, ich mit den dii minorum gentium unter Deck. Es gab nach Ham-
burger Art ein opulentes Essen und namentlich viele gute und schwere
Weine. Meine Nachbarn schenkten mir vierzehnjährigem Jungen fleißig ein
und tranken mir freundlich zu. Ich trank nacheinander und mit zunehmen-
dem Vergnügen Sherry, Moselwein, Rheinwein, Bordeaux, Champagner,
Madeira, Kognak. Dann empfand ich ein wachsendes Bedürfnis nach
frischer Luft und begab mich auf das Oberdeck. Dort sah ich in der Ferne
meinen Vater und ging in gehobener Stimmung auf ihn zu. Aber ach!
Mein Gang war schwankend. Nur mühsam hielt ich mich auf den Beinen.
Vor ihm und dem würdigen Syndikus Merck angelangt, taumelte ich und
fiel zu Boden. „Du bist ja total betrunken“, sagte in strengem Ton mein
Vater zu mir. Die Umstehenden lächelten. Mein Vater fuhr fort: „Marsch
unter Deck. Schlaf deinen Rausch aus und laß dich nicht wieder blicken,
bis wir in St. Pauli zurück sind.“ Sehr beschämt folgte ich. Auf dem Rück-
weg von St. Pauli bis Flottbek mußte ich vor meinem Vater gehen, um ihm
zu beweisen, daß ich wieder fest auf den Füßen stünde. Am nächsten
Morgen sagte er mir, Betrunkenheit sei eine der verderblichsten und dabei
widerwärtigsten Sünden. Das Beispiel von Noah dürfe ich nicht zu meiner
Entschuldigung anführen, denn der habe sich von den Prüfungen und Auf-
regungen der Sintflut erholen wollen, ich hätte aber gar keine Entschul-
digung.