Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

Disput des 
Botschafters 
mit Vitzthum 
550 LORDS UND GEHEIMRÄTE 
verbunden mit der hängenden Unterlippe, den glanzlosen Augen, etwas für 
alle und alles Gleichgültiges, Hochmütiges. Insofern war er ein echter 
Typus des alten hannoverschen Adels, der an aristokratischer Hoffart 
jeden andern deutschen Adel übertraf. Dieses hochmütige Selbstbewußtsein 
war aber mit unleugbaren Qualitäten verbunden. Münster besaß große 
Sicherheit des Auftretens, ein unerschütterliches Selbstvertrauen, viel 
gesunden Menschenverstand. In der Konversation war er ebenso originell 
wie in der äußeren Erscheinung. Er verhehlte in keiner Weise seine Miß- 
achtung für das damals von Bismarck geleitete Auswärtige Amt, das er das 
„Zentralrindvieh‘“ zu nennen pflegte. Tadelnde Bemerkungen in Erlassen 
des Auswärtigen Amts und selbst Rügen von Bismarck machten ihm keinen 
Eindruck. Als er einmal einen schriftlichen Verweis des „großen Otto‘, wie 
wir ihn in der Karriere nannten, erhielt, meinte er gleichmütig, noch dazu 
im Beisein von Herbert Bismarck: „Wie muß sich der geärgert haben, der 
diesen Erlaß diktiert hat.“ 
Am ersten Abend, den ich bei Münster verlebte, geriet er mit Friedrich 
Vitzthum in einen freundschaftlichen Disput über eine gerade schwebende 
deutsch-englische Differenz. Münster konnte Vitzthum wohl leiden, obwobl 
oder gerade weil dieser ihm gegenüber kein Blatt vor den Mund nahm. „Ich 
weiß sehr gut“, meinte Vitzthum an diesem Abend zu seinem Chef, der 
wieder abfällige Bemerkungen über deutsche Beamte und Hochschullehrer 
gemacht hatte, ,„‚daß Sie, Exzellenz, der Ansicht sind, ein englischer Lord 
von einundzwanzig Jahren, der in Cambridge oder in Oxford gerudert und 
Cricket gespielt hat, sei klüger als alle deutschen Bürokraten und Ge- 
lehrten.“* Mit der größten Ruhe erklärte Münster lachend: „Das ist er auch, 
mein lieber Vitzthum! Das ist er! Politisch ist so ein junger Lord viel klüger 
als alle unsere Professoren und Geheimräte.““ Als die Rede darauf kam, daß 
er und Bismarck von 1859 bis 1862 in St. Petersburg Kollegen gewesen 
waren, meinte Münster, nicht ohne unfreiwilligen Humor: „Für Bismarck, 
der das starke preußische Heer hinter sich hatte, war es keine Kunst, sich 
in St. Petersburg eine gute Stellung zu machen. Aber daß ich als Vertreter 
des kleinen Hannover in St. Petersburg eine so ausgezeichnete Position 
hatte, das wollte etwas bedeuten.‘ Als wir von der Botschaft nach der 
Vitzthumschen Wohnung zurückkehrten, resümierte Herbert sein Urteil über 
Münster dahin, daß er nach Erziehung, durch seine Heirat mit einer Eng- 
länderin und alle seine Liebhabereien ganz Engländer geworden sei und 
alles durch die englische Brille ansehe. Er würde also nur so lange brauchbar 
sein, wie wir mit England keine ernstlichen Differenzen hätten. Solange dies 
nicht der Fall sei und von Berlin überwacht und gezügelt, sei Münster 
in London ganz gut am Platz, da er den Engländern sympathisch sei und 
ihnen volles Vertrauen einflöße. Nur der Prinz von Wales möge Münster
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.