Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

DER GROSSE ENGLÄNDER 551 
nicht leiden, da er einerseits innerlich überhaupt deutschfeindlich sei und 
andererseits Münster nicht verzeihen könne, was er dessen ,„Verrat‘‘ am 
hannoverschen Königshause nenne. Als Althannoveraner und Sohn eines 
vom Welfenhause gegraften hannoverschen Großwürdenträgers hätte 
Münster nach der Ansicht des englischen Thronerben auch nach 1866 zu 
den Welfen stehen müssen. 
Für mich war Münster während meines Londoner Besuches freundlich 
und zuvorkommend. Er hat es mir viele Jahre später übelgenommen, daß 
er mit achtzig Jahren, tatsächlich schon recht senil, unter Verleihung der 
Brillanten zum Schwarzen Adlerorden zur Disposition gestellt wurde. Bei 
meinem damaligen Besuch in London frug er mich, ob ich nicht Lust hätte, 
mich nach der bald bevorstehenden Ablösung von Herbert Bismarck als 
Erster Sekretär von Paris nach London versetzen zu lassen. Ich würde ihm 
als Erster Sekretär sehr erwünscht sein. Ich passe gut nach London und 
würde mir dort eine gute Stellung machen. 
Münster stellte mich dem Premierminister vor. Der Rt. Hon. 
W.E.Gladstone, M. P., First Lord of the Treasury, war damals schon 
fünfundsiebzig Jahre alt. Seit seinem vierundzwanzigsten Lebensjahr, also 
seit einundfünfzig Jahren, gehörte er dem Unterhause an. Er war schon 
vor gerade einem halben Jahrhundert, 1834, unter Sir Robert Peel, dem 
Befürworter der Katholikenemanzipation und Vorkämpfer des Freihandels- 
systems, Unterstaatssekretär im Kolonialamt und 1868 zum erstenmal 
Premierminister gewesen. Gladstone hatte nicht das Faszinierende von 
Disraeli, dem Vater des englischen Imperialismus. Weder auf die Königin 
Victoria, die ihn nicht mochte und ihm seinen Rivalen Beaconsfield bei 
weitem vorzog, noch auf das englische Volk übte er den Zauber aus, der 
seinem Rivalen, Benjamin Disraeli, nicht nur die dauernde Gnade seiner 
hohen Gebieterin, sondern auch die größte Popularität eintrug, die seit 
Palmerston ein englischer Minister besessen hatte. Disraeli zu Ehren 
schmückt noch heute die Primrose, die Primel, die Knopflöcher englischer 
Nationalisten. Aber auch William Gladstone war ein ungewöhnlicher Mann. 
Mir fiel sein großes, tiefes, ernstes Auge auf, aus dem Begeisterungsfähigkeit, 
Gutgläubigkeit und Bekennermut sprachen. Er hatte ein ungewöhnlich 
sympathisches Organ. Ich bin weit entfernt, ihn nach den wenigen Worten 
zu beurteilen, die er mit einem um vierzig Jahre jüngeren Mann wechselte. 
Aber ich verstand, daß er seinen Landsleuten durch Eigenschaften im- 
ponierte, die im besten Sinne englisch waren: den großen Ernst, die 
Tüchtigkeit, die Begeisterungsfähigkeit, die Gewissenhaftigkeit, die Über- 
zeugungstreue. 
Gladstone wechselte gelegentlich seine Überzeugungen, aber was er 
im Augenblick sagte, daran glaubte er felsenfest wie an das Evangelium. 
Gladstone
	        
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