Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

XL. KAPITEL 
St. Petersburg (Juli 1884) - Geschäftsübernahme - Tod von Gortschakow und Skobelew 
Reichssekretär Polowzow +» Herr von Giers » Kaiserbegegnung von Skierniewice, Vor- 
bereitung der Entrevue « Bei Bismarck in Berlin »- Reise nach Skierniewice » Kaiser 
Wilhelm l., Kaiser Alexander III. und Kaiser Franz Josef » Warschau - Generalkonsul 
von Rechenberg » Graf Fersen « Graf Dmitri Tolstoi - Pobjedonoszew + Gräfin 
Kleinmichl » Madame Durnow « General Tscherewin 
ch hatte im März 1876 das winterliche, trübe und dunkle, in Eis, Schnee 
und Nebel gehüllte St. Petersburg verlassen. Ich kehrte jetzt, im Juli 
1884, in das St. Petersburg der hellen und weißen Nächte und der gerade 
an der Newa drückenden und schwülen Sommerhitze zurück. Fürst Alex- 
ander Michailowitsch Gortschakow war nicht mehr. Im hohen Alter von 
vierundachtzig Jahren war er zwei Jahre vorher zurückgetreten. Den 
Zynismus, den sein ganzes Leben zur Schau getragen hatte, verleugnete er 
auch nicht, als er aus dem Amte schied. Er empfing eine Deputation des 
Ministeriums des Äußern, die ihm feierlich eine seinem Geschmack ent- 
sprechende, in prunkvolle Phrasen gekleidete Abschieds- und Huldigungs- 
adresse aller Beamten der ihm während sechsundzwanzig Jahren unter- 
stellten großen Behörde überreichte, mit den zynisch-unflätigen Worten: 
„Une bonne nouvelle pour commencer. J’ai eu ce matin une excellente selle. 
Voltaire a dit que pour un vieillard c’etait lä le seul vrai bonheur.“ Ein Jahr 
später starb Gortschakow in Baden-Baden. Er war bis zuletzt ein laster- 
hafter Greis, eine unter allen Verhältnissen unerfreuliche Erscheinung. Er 
hatte schon während des Russisch-Türkischen Krieges in Bukarest dadurch 
Anstoß erregt, daß er jeden Abend in einem Cafe chantant den Obszönitäten 
französischer Chansonetten applaudierte. Gortschakow wurde in Baden- 
Baden vom Tode im Bett einer Dienerin der Venus vulgivaga ereilt. Das 
erschrockene Mädchen stürzte zur Polizei, die begreiflicherweise Aufsehen 
und Skandal vermeiden wollte. Es wurde verfügt, daß die Leiche des rus- 
sischen Altkanzlers unauffällig in den von ihm bewohnten Gasthof über- 
geführt werden sollte. Man legte also den Leichnam in einen großen Korb und 
deckte ihn mit schmutziger Wäsche zu. So traf die sterbliche Hülle im 
Hotel ein, und der Pope der orthodoxen Kapelle konnte nun seines Amtes 
walten. 
36” 
Gortschakows 
Ende
	        
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