Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

Kaiser 
W’ilhelm 
reist nach 
Skierniewice 
Aus der 
Geschichte 
von Thorn 
568 ERINNERUNGEN EINES ALTEN MANNES 
wollte, zu Gebote stand: „Ich bitte Eure Königliche Hoheit, mich Ihren 
allerdurchlauchtigsten Eltern alleruntertänigst zu Füßen legen zu wollen.“ 
Der Prinz, der offenbar ein Eingehen auf seinen jokosen Ton erwartet hatte, 
sah verdutzt aus. | 
Am nächsten Morgen wurde die Fahrt nach Skierniewice angetreten. 
Der Kaiser, damals siebenundachtzig Jahre alt, erzählte im Eisenbahn- 
wagen von seinen früheren Besuchen in Rußland. Besonders lebhaft stehe 
ihm ein Besuch vor Augen, den er vor sechzig Jahren seiner Schwester Char- 
lotte und deren Gemahl, dem damaligen Großfürsten Nikolaus Pawlowitsch, 
abgestattet hatte. Als er damals dem regierenden Kaiser Alexander I. seine 
Aufwartung machte, habe ihm dieser als Geheimnis anvertraut, daß nach 
seinem (Alexanders) Tode nicht sein zweiter Bruder Konstantin, der 
wegen seiner morganatischen Heirat, auch wegen Kränklichkeit und weil er 
„un original“ sei, die Nachfolge abgelehnt habe, sondern der dritte Bru- 
der, Nikolaus, den Zarenthron besteigen werde. Kaiser Wilhelm fuhr fort: 
„Den Abend des Tages, wo ich diese Gonfidence erhielt, verbrachte ich bei 
meiner Schwester und bei meinem Schwager Nikolaus. Als ich sie in ihrer 
gemütlichen Häuslichkeit beisammen sah, dachte ich mir: ach ihr Armen! 
Ihr wißt nicht, was euch Böses bevorsteht!““ Kaiser Wilhelm kam dann auf 
seine Kindheit zu sprechen. Er erzählte ohne Pose, ohne jede Eitelkeit, ganz 
einfach. Etwa wie Wilhelm von Kügelgen in den „‚Jugenderinnerungen eines 
alten Mannes“ erzählt oder Walter Scott in den ‚‚Tales of a Grandfather“ 
oder Guizot in seiner „Histoire de France, racontee a mes petits enfants“. 
Der Kaiser erzählte uns unter anderm: ,‚Nach alter Tradition werden die 
preußischen Prinzen an ihrem zehnten Geburtstag in die Armee eingestellt. 
Gleichzeitig erhalten sie den Schwarzen Adlerorden. Weihnachten 1806 
führte mich mein seliger Vater in Memel unter unseren sehr bescheidenen 
Weihnachtsbaum und sagte mir: ‚Eigentlich solltest du erst an deinem 
Geburtstag, am 22. März 1807, Offizier werden. Da ich aber nicht weiß, wo 
und wie wir uns dann befinden werden, so ernenne ich dich schon heute zum 
Leutnant und verleihe dir unseren Orden. Trage Uniform und Orden immer 
in Ehren.‘ Ich legte die meiner kindlichen Figur entsprechende kleine Uni- 
form an, zum ersten Male eine preußische Uniform. Meine schöne Mutter 
weinte bitterlich.“ 
Wir passierten die Weichselbrücke bei Thorn. Wir passierten Thorn. 
Hermann Balk, wohl der größte unter den Hochmeistern des Deutschen 
Ordens, hat Thorn gegründet und die Gegend mit Westfalen kolonisiert. 
Thorn wurde eine der bedeutendsten Handelsstädte des Nordens. Kaum 
zweihundert Jahre später schloß der verfallene Deutsche Orden hier 
den schimpflichen Frieden von Thorn, durch den der Orden die Hälfte seines 
Gebietes an Polen abtrat, die andere von Polen zu Lehen nahm. Und im
	        
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