FEIER IN DER WILHELMSTRASSE o8l
engagiert war, war viel Geld verloren worden. In einem Teil der Presse
wurden bittere Vorwürfe gegen Bismarck erhoben, weil er die Börse und
das Publikum nicht rechtzeitig auf die Möglichkeit eines englisch-russischen
Konflikts vorbereitet habe. Bismarck erwiderte, daß es Sache der Börse
und des an der Börse spekulierenden Publikums sei, sich a la hausse oder
a la baisse zu engagieren. Wenn er als leitender Staatsmann einen Alarmruf
erlassen hätte, so würde das den Anschein erweckt haben, als ob er entweder
die Streitenden, England und Rußland, von der Verfolgung der ihnen zweck-
mäßig erscheinenden Ziele abhalten oder gar sie gegeneinander hetzen
wolle „wie zwei Fleischerhunde“. Ruhe und Zurückhaltung seien bei
diesem Konflikt die für Deutschland ganz richtige Politik gewesen. Ich
schalte ein, daß neunzehn Jahre später auch mir als Reichskanzler der
ebenso törichte Vorwurf gemacht wurde, daß ich nicht rechtzeitig auf die
Möglichkeit eines russisch-japanischen Krieges hingewiesen hätte.
Mitte März 1885 erhielt ich einen Brief von Herbert Bismarck, in dem er
mir schrieb, er nehme an, daß ich nach einem dienstlich und gesellschaftlich
anstrengenden Winter mir im Frühjahr einen Urlaub gönnen würde. In
diesem Falle möchte ich es so einrichten, daß ich am 1. April, dem sieb-
zigsten Geburtstage seines Vaters, in Berlin sein könnte. An dieser Feier
teilgenommen zu haben, würde mir eine stolze Erinnerung für mein ganzes
Leben bleiben. Dankbar und gern folgte ich der gütigen Aufforderung. Und
bei Gott, diesen Tag vergaß ich nie und werde seiner nie vergessen. Nie ist
ein deutscher Staatsmann von dem besten Teil seinesV olkes so gefeiert und
geehrt worden, und nie war ein Deutscher einer solchen Ehrung würdiger.
Freilich, die Führer der oppositionellen Parteien, Eugen Richter, Ludwig
Windthorst und August Bebel, standen in stummem Groll und verbissenem
Ärger beiseite. Ihre Wähler aber beteiligten sich zu Tausenden und
Tausenden an den Ehrungen, die Bismarck dargebracht wurden, obne sich
durch die Reflexion stören zu lassen, daß die meisten Erfolge des Fürsten
Bismarck gegen den Widerstand ihrer Parteiführer und unter ihrem un-
unterbrochenen Hadern und Schimpfen erreicht worden waren. Der Genfer
Publizist Victor Cherbuliez, der unter dem Pseudonym Valbert in der
„Revue des Deux Mondes“ und anderen französischen Zeitschriften wenig
deutschfreundliche, aber geistreiche Betrachtungen über deutsche Zustände
veröffentlichte, hat einmal einen deutschen Demokraten der achtziger
Jahre geschildert, der sich in seiner Heimat, einem kleinen Provinznest,
durch unentwegtes Räsonieren über Bismarck eine so gute politische
Stellung gemacht hatte, daß seine Mitbürger ihn in den Reichstag wählten.
Dort angelangt, ergreift er die erste Gelegenheit, um den verhaßten Kanzler
mit allem Aufwand seiner Lunge und seines reichen Vorrats an banalen
demokratischen Schlagworten anzugreifen. Als nun Bismarck am Schlusse
Der siebzig-
Jährige Fürst
Bismarck