Weihnachts-
urlaub nach
Wien und
Berlin
590 EIN TELEGRAMM
avere paura di me? Mi chiamano Nano (der Zwerg). Questo non & il nome di
un Nerone.‘“ Über die vom Heiligen Stuhl in besonderen Fällen vor-
genommenen Annullationen herrschen vielfach unklare Begriffe. Ins-
besondere ist die Meinung verbreitet, daß es letzten Endes auf das Geld
ankomme. Diese Auffassung ist irrig. Die hier in Rede stehende Annullation
hat nur einige tausend Lire Kanzleigebühren gekostet, nicht mehr als die
Sporteln für einen Bagatellprozeß vor einem Berliner Amtsgericht. Mit
Weisheit und Güte hat die katholische Kirche es so eingerichtet, daß durch
die Annullierung einer Ehe der Status der Kinder in keiner Weise berührt
wird. Sie werden durch eine sogenannte ‚„Sanatoria“ in alle Rechte legitimer
Kinder eingesetzt.
Anfang Dezeniber 1885 wurde mir gegen Abend ein Telegramm gebracht.
Gibt es Ahnungen? Ich fühlte, daß es ein wichtiges, ein entscheidendes
Telegramm war. Aber war es die Entscheidung im Annullationsverfahren ?
Also eine Lebensentscheidung? Ich konnte mich nicht entschließen, das
Telegramm sofort zu öffnen. Mein Vater hatte mich schon als Knabe
gelehrt, wichtige Entscheidungen in gesammelter Stimmung entgegen-
zunehmen. Ich steckte also das Telegramm in die Brusttasche und ging zur
Newa. Seit Wochen zugefroren, glich ihre Oberfläche bei dem unregel-
mäßigen Anfrieren der Eisschollen einer Wüstenei. Nirgends war ein
lebendes Wesen zu sehen, weder Mensch noch Tier. Völlige Einsamkeit
umgab mich. Dazu völlige Finsternis. Nur in der Ferne dämmerten die
Lichter der Petersburger Häuser. Als ich in die Nähe einer Laterne gelangte,
die von hoher Stange spärliches Licht spendete, öffnete ich das Telegramm.
Ich las vier Worte: „Annullation ausgesprochen, selig Marie.“ Ich dankte
dem lieben Gott aus innerstem, tiefstem Herzen.
Am nächsten Tage erbat ich einen vierzehntägigen Weihnachtsurlaub,
den ich erhielt und antrat, nachdem ich vorher an den Reichskanzler mein
dienstliches Gesuch um Bewilligung der Eheschließung mit Gräfin Marie
Dönhoff gerichtet hatte. Ich fuhr über Warschau nach Wien. In Wien traf
ich die Gräfin Marie, die dort zum Besuch bei unserer Freundin, der Fürstin
Salm-Liechtenstein, weilte. Ich sagte ihr, daß ich mich in Berlin aufkeinerlei
Hin- und Herreden, Ausflüchte und Temporisieren einlassen, vielmehr dem
Amt nur die Wahl zwischen Konsens und Abschied lassen würde. Ich frug
die Gräfin, ob sie bereit wäre, im Fall meines Ausscheidens aus dem
diplomatischen Dienst an meiner Seite ein äußerlich wenig glänzendes,
bescheidenes Leben zu führen. Sie antwortete: „Mit dir, wo du willst und
wie du willst.“
In Berlin bat ich Herbert brieflich um eine Unterredung. Er empfing
mich am nächsten Tage in seinem Amtszimmer, in dem ich elf Jahre
später, inzwischen Staatssekretär geworden, während drei Jahren manchen