Ankunft in
Petersburg
Fürstin
Kotschubey
596 HÄUSLICHKEIT
englischen Erziehung und Einstellung entsprechend, mit Abscheu von der
russischen Regierungsweise, von Autokratie und Orthodoxie, aber mit leb-
hafter Sympathie von der Großfürstin Elisabeth Feodorowna, ihrer hes-
sischen Nichte, der zweiten Tochter der Großherzogin Alice von Hessen.
Wer hätte damals geahnt, daß diese märchenhaft schöne junge Frau erst die
Ermordung ihres Gatten, des Großfürsten Sergius Alexandrowitsch, erleben
und dann selbst, in einen tiefen Schacht gestürzt, zerschmettert und halbtot
auf dem Grunde angelangt, unter ihr nachgeschüttetem ungelöschtem Kalk
erstickt werden würde! Was sind Hoffnungen, was sind Entwürfe! Der
gütige Kronprinz stattete meiner Frau im Hotel Continental, wo wir
abgestiegen waren, persönlich einen Besuch ab und unterhielt sich mit ihr
lange und sehr verständig über russische Zustände und unser Verhältnis
zu unserem östlichen Nachbarn. Prinz und Prinzessin Wilhelm, die uns
nach unserer Trauung in Wien telegraphisch sehr herzlich beglückwünscht
hatten, luden uns in Berlin zu Tische. Beide schwärmten für meine Frau,
der sie oft im Neuen Palais begegnet waren, wenn diese dort zum Besuch
bei den Kronprinzlichen Herrschaften weilte. Wir sahen viele unserer alten
Berliner Freunde, den Fürsten und die Fürstin Otto Stolberg, den bay-
rischen Gesandten Hugo Lerchenfeld, meine lieben Kriegskameraden
Franz Arenberg und Bodo Knesebeck. Am meisten aber beglückte es mich,
daß meine Mutter meine Frau nicht nur mit herzlicher Liebe in ihre Arme
schloß, sondern sie mit jedem Tage liebergewann und mit voller Überzeu-
gung zu mir sagte: „Sie ist die Frau, die zu dir paßt. Mit Gottes Hilfe und
unter Gottes Segen wirst du sehr glücklich mit ihr werden.“
Nach zehntägigem Aufenthalt in Berlin traten wir die Weiterreise nach
St. Petersburg an. Seit ich verheiratet, und glücklich verheiratet, war,
sah ich Petersburg mit anderen Augen an als zehn Jahre früher, wo ich,
leichten, törichten Sinnes voll, zum erstenmal dort gelandet war. Ich über-
zeugte mich bald davon, daß die Erfüllung meiner dienstlichen Pflichten
mir durch meine Frau nur erleichtert wurde. Und nicht nur weil sie mir die
Häuslichkeit schuf, in der sich entfalten konnte, was an Leistungsfähigkeit
etwa in mir steckte. Ich knüpfte durch sie auch Beziehungen zu Familien
und Kreisen an, denen ich vorher nicht nähergetreten war. Die Oberhof-
meisterin der Kaiserin, die Fürstin Helene Kotschubey, die Mutter
von Marie Durnow, hatte ich bisher nur oberflächlich gekannt. Als lang-
jährige Freundin meiner Schwiegermutter suchte sie meine Frau auf, sobald
sievonihrer Ankunft gehört hatte. Die alte Fürstin fuhr zurV orstellungbeider
Kaiserin Maria Feodorowna selbst mit meiner Frau nach Gatschina, wozu
sie sich sonst nur entschloß, wenn es sich um Botschafterinnen handelte.
Die Fürstin Helene Kotschubey war eine der letzten ganz großen Damen,
die es in Europa gegeben hat. Eine Bibikow, aus einem der ältesten