DAS ENDE EINES ROMANS 605
Noch ein halbes Jahr später, im Frühjahr 1887, als ich mit meiner Frau
in Berlin weilte, war dort die Battenberg-Affäre das allgemeine Gesprächs-
thema. Man interessierte sich wenig dafür. ob der Fürst Alexander nach
Bulgarien zurückkehren würde oder nicht. Wohl aber war alle Welt mit der
Frage beschäftigt, ob Alexander und Viktoria sich „kriegen“ würden. Meine
Frau und ich wurden zum Luncheon nach dem Neuen Palais geladen. Nach
Aufhebung der Frühstückstafel ging man in den schönen Garten, wo Prin-
zessin Viktoria mit einigen Herren des Kronprinzlichen Hofes Lawn-
Tennis spielte. Während sich die Prinzessin diesem schönen Spiel mit der-
selben Anmut und jedenfalls mit dem gleichen Eifer hingab wie einst die
Phäakenprinzessin Nausikaa dem Ballspiel, klagte mir die Kronprin-
zessin ihr Leid. Ihr armes Töchterlein sei so verzweifelt, daß sie weder
essen noch schlafen könne. Sie gräme sich Tag und Nacht, daß sie durch
die grausame Politik des Fürsten Bismarck verhindert würde, den von ihr
so sehr geliebten Fürsten Alexander zu heiraten. Sie würde entweder Selbst-
mord begehen oder vor Kummer sterben. Da gerade in dem Augenblick,
wo ich diese Klagen hörte, Prinzeß Viktoria mit einem meisterhaften
Schlage ihres Rackets unter lautem Jubel die Partie gewann, konnte ich
der Frau Kronprinzessin mit gutem Gewissen erwidern, daß ihre Tochter
mir noch nicht ganz so unglücklich zu sein schiene wie Ophelia oder Julia.
Das Liebesspiel zwischen Alexander und Viktoria ging denn auch bald
zu Ende. Beide haben sich rasch getröstet. Prinzeß Viktoria vermählte
sich 1890 mit dem wackeren Prinzen Adolf von Schaumburg-Lippe, Fürst
Alexander, der gehofft hatte, Eidam des Deutschen Kaisers zu werden,
hatte schon vorher eine hübsche Sängerin des Darmstädter Hoftheaters,
Fräulein Johanna Loisinger, geheiratet. Seine ehrgeizigen Träume haben
sich nicht erfüllt. Aber was ihm niemand rauben konnte, war der Ruhm
eines tapferen Mannes, den er sich bei Slivnica mit dem Degen in der
Faust erworben hatte.
Was außer der Liebespein ihrer Tochter die Kronprinzessin am meisten
beschäftigte, war das bevorstehende fünfzigjährige Regierungsjubiläum
ihrer Mutter, der Königin Victoria. Die Kronprinzessin wollte, daß der
Kronprinz diesem Jubiläum beiwohnen sollte, das ihr bei ihrem englischen
Empfinden als die bedeutendste Feier aller Zeiten und Länder erschien.
Der Kronprinz aber laborierte seit einiger Zeit an einem hartnäckigen
Halsleiden, das auch durch eine ernste Kur in Ems nicht gebessert worden
war. Der hohe Herr sah nicht gut aus. Er war blaß, sehr heiser, und das
Sprechen verursachte ihm sichtlich Unbequemlichkeit. Gütig wie immer,
wollte er nicht, daß seine Familienangehörigen und seine Gäste seinen
körperlichen Zustand als störend empfänden. Aber ich konnte die Besorgnis
nicht loswerden, daß an diesem heldenhaften Mann ein giftiger Wurm nage.
Alexander
und Viktoria
Halsleiden
des Kron-
prinzen