Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

DIE NARRENFREIHEIT 607 
parlamentarischen System überging, das mit einer kräftigen Monarchie 
ebenso vereinbar war wie mit der im Interesse des Landes erforderlichen 
vollen Aufrechterhaltung unserer Wehrmacht. 
In der Umgebung des Fürsten Bismarck waren hinsichtlich der Batten- 
berg-Affäre wie gegenüber Rußland die Ansichten geteilt. Herbert vertrat 
wie immer die Auffassung seines Vaters, aber noch um einige Nuancen 
schärfer und um mehrere Grade einseitiger. Holstein kritisierte und be- 
kämpfte den russenfreundlichen Kurs. Holstein war, solange ich ihn kannte, 
also während dreißig Jahren, russenfeindlich und anglophil. Wie alle Sym- 
pathien und Antipathien des seltsamen Mannes war auch diese Einstellung 
auf persönliche Vorgänge und Empfindungen zurückzuführen. Sein erster 
Posten war St. Petersburg gewesen. Er war dort gesellschaftlich schlecht 
behandelt worden. Die große Petersburger Welt hatte den jugendlichen, 
ungelenken, eitlen und empfindlichen Holstein, der weder durch die Schule 
eines Korps noch eines Regiments gegangen, der ein Original war, unsym- 
pathisch gefunden. Spätere Reibungen mit russischen Kollegen in Paris 
und der Russischen Botschaft in Berlin waren dazugekommen. Dagegen 
hatte Holstein an mehrere Besuche in England und an einen längeren 
Aufenthalt in Amerika gute Erinnerungen bewahrt. Einige englische Publi- 
zisten gehörten zu seinen nächsten Freunden. Bill Bismarck und Rantzau 
fanden wie Holstein, daß Fürst Bismarck zuviel Rücksicht auf Rußland 
nehme. Es war ein Beweis für die Ausnahmestellung, die Holstein bis zum 
Sturz des Fürsten Bismarck bei diesem einnahm, daß der mißtrauische 
Kanzler, der im allgemeinen weder Widerspruch noch Kritik duldete, 
Holstein das Frondieren in der Battenberg- und in der Russenfrage nicht 
übelnahm. Er sagte auch nichts, als der Intimus von Holstein, der Berliner 
Korrespondent der „Kölnischen Zeitung‘, der Justizrat Fischer, in seinem 
Blatt von einem Wettkriechen vor Rußland sprach. Als ich Herbert frug, 
was er zu Holsteins russenfeindlicher Haltung sage, meinte er lachend: 
„Holstein hat ein für allemal Narrenfreiheit.‘“ Er vergaß, daß es auch 
gefährliche Narren gibt. 
Holstein 
gegen 
Rußland
	        
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