DER JUNGE PRINZ WILHELM 609
unerfahren ist, liegt in seiner Jugend. Er ist aber auch unbesonnen und eitel.
Er will alles besser wissen und alles entscheiden, ohne die hierfür erforder-
lichen Eigenschaften zu besitzen. Er lechzt nach äußerlichen Triumphen.
Der Schein ist dem jungen Prinzen Wilhelm leider wichtiger als der Kern.
Andrerseits ist der große Kanzler mit dem Alter noch reizbarer, noch
starrer geworden. Er ist durch riesenhafte Erfolge wie durch die Güte und
den Takt unseres alten Herrn sehr verwöhnt. Der einzige, der Einfluß auf
den achtundzwanzigjährigen Prinzen Wilhelm hat, ist Waldersee. Prinz
Wilhelm wird ihn wohl einmal zum Reichskanzler machen.“
Lo& gab mir dann in seiner abgeklärten Art eine Charakteristik von
Waldersee: „Als Militär ist er eine große Nummer. Ein starker Wille, ein
helles Auge, Schneid, Entschlußfähigkeit, Findigkeit. Er ist aus dem Holz,
aus dem Friedrich der Große seine Generäle und Napoleon seine Marschälle
schnitzte. Aber ich sehe zwei Klippen. Er ist politisch und militärisch von
einem unbändigen Ehrgeiz beseelt, und er neigt zur Intrige. Ich glaube,
daß er als Kanzler im Innern gegen die beiden ihm besonders verhaßten
Parteien, die Sozialdemokratie und das Zentrum, gewaltsam vorgehen
möchte. In Deutschland ist bei dem starken Rechtssinn unseres Volkes und
dem föderativen Aufbau des Reiches ein Staatsstreich eine sehr ernste
Sache, und ein prophylaktischer Krieg hat auch seine Bedenken. Waldersee
glaubt, daß die Friedensliebe des Fürsten Bismarck darauf zurückzuführen
sei, daß der alte Kanzler persönlich saturiert sei und anderen keine
frischen Lorbeeren gönne. Aber es sprechen doch auch sehr gewichtige,
sachliche Gründe gegen den prophylaktischen Krieg, den Bismarck nicht
übel Selbstmord aus Furcht vor dem Tode genannt hat.‘ Lo& schloß seine
Ausführungen: ‚Mein Wunsch wäre, daß Sie eintretendenfalls dem Reichs-
kanzler Waldersee als Staatssekretär des Äußern zur Seite träten.‘“ Ich
entgegnete ohne Besinnen, daß ich bei den alten, nahen Beziehungen, in
denen ich von Kindesbeinen an zum Fürsten Bismarck und seiner Familie
gestanden hätte, die direkte Nachfulge Herberts nicht übernehmen würde,
wenn Fürst Bismarck unfreiwillig ginge. Der durch und durch ritterliche
General verstand meine Auffassung, blieb aber dabei, daß Waldersee ohne
einen geschickten und erfahrenen Diplomaten neben sich ihm Besorgnisse
einflößen würde.
Inzwischen waren wir in Axenstein angekommen. Vor uns standen Graf
und Gräfin Waldersee. Sie kamen gerade aus dem englischen Gottesdienst.
In seinem langen schwarzen Gehrock und mit weißer Halsbinde erinnerte
mich der Graf bei dieser ersten Begegnung trotz seines militärischen
Schnurrbarts an einen methodistischen Geistlichen. Dieser erste Eindruck
war natürlich nicht der entscheidende. In Uniform — ich bin Waldersee
später noch oft begegnet — machte er eine glänzende militärische Figur.
39 Blow IV
Loö über
Waldersee