Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

Ferdinand 
von Koburg 
Gespräch 
mit dem 
Großfürsten 
Wladimir 
612 ATTENTATSANGST IN PETERSBURG 
gerichteten Schreiben, die Tschechen seien die mächtige Festung, die im 
Herzen Europas das nach Osten drängende deutsche Meer in seine natür- 
lichen Grenzen zwinge und den Rücken des slawischen Ostens decke. Im 
Herbst erschien der Dichter der Revanche Paul Döroulede in Rußland, 
ließ sich in Petersburg und Moskau feiern und war auchin anderen russischen 
Städten der Gegenstand franzosenfreundlicher Demonstrationen. Die im 
vorigen Kapitel behandelten bulgarischen Vorgänge trugen das ihre dazu 
bei, die russische öffentliche Meinung im panslawistischen Sinne zu erregen. 
Sie wurden von der ganzen russischen Presse unter heftigen Ausfällen 
gegen österreichische Intrigen und zum Teil auch mit ganz ungerechten 
Angriffen gegen die deutsche Politik besprochen. Insbesondere wurde die 
im Sommer 1887 erfolgte Wahl des Prinzen Ferdinand von Koburg 
zum Fürsten von Bulgarien in Rußland nicht allein auf österreichische, 
sondern, ohne jede Begründung, auch auf deutsche Intrigen zurückgeführt. 
Die russische Regierung verhielt sich gegenüber diesem Überschäumen 
der chauvinistischen Flut nicht ganz untätig. Der General Bogdanowitsch, 
der nach Paris gefahren war, um Fühlung mit der Ligue des Patriotes zu 
nehmen, wurde nach einem am Ural gelegenen Ort „verschickt“, eine Reihe 
von Zeitungen „verwarnt“. Aber als im August 1887 Katkow starb, der 
Prophet der nationalistischen, autokratischen und orthodoxen Partei, 
richtete Alexander III. an die Witwe ein von ihm selbst niedergeschriebenes 
Telegramm, in dem es hieß: „Im Verein mit allen echten Russen bedaure 
ich herzlich Ihren und unsern Verlust. Die Kaiserin und ich vereinigen 
uns mit Ihnen im Gebet für die Ruhe der Seele des Patrioten Michail 
Nikiforowitsch.““ 
Während die russischen Nationalisten manchen Unfug trieben, waren 
wohl die Symptome der nihilistischen Krankheit gewaltsam zurück- 
gedrängt worden, das Übel selbst war nicht geheilt. Die kaiserliche Familie 
lebte in beständiger Angst vor Attentaten. Ich erinnere mich eines 
Vorfalles, der durch die Persönlichkeit, um die es sich handelte, später 
einmal noch besondere Bedeutung gewinnen sollte. Ich frühstückte, wie 
oft, im Palais des Großfürsten Wladimir. Er war nicht zugegen, da er zu 
seinem Bruder, dem Zaren, gerufen worden war. Als er nach dem Luncheon 
erschien, teilte er der Großfürstin und mir in großer Erregung mit, daß ein 
abscheuliches Attentat auf den Kaiser entdeckt worden sei. Man habe 
auf dem Newsky-Prospekt Studenten verhaftet, die, mit Sprengbomben 
versehen, den Schlitten des Zaren erwarteten. Der Führer dieser Bande, den 
der Großfürst mit allen erdenklichen Flüchen und Beschimpfungen belegte, 
ein gewisser Uljanow, werde im Laufe der nächsten Nacht den verdienten 
Tod am Galgen erleiden. Der Bruder des damals hingerichteten Uljanow, 
Lenin, hat Jahrzehnte später, nach dem Sturz des Zarenthrons die SSSR.,
	        
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