Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

DIE RUSSISCHE MECKLENBURGERIN 613 
die Sojuz Sozialisticeskich Sovetskich Respublik, den Bund der sozialistischen 
Rätestaaten, errichtet. Wie einst Hannibal, hatte er Rache geschworen und 
ist seinem Schwur treu geblieben. 
Nach meinem Dienstantritt als Erster Sekretär der Botschaft in 
St. Petersburg war ich dem Großfürsten und der Großfürstin Wladimir 
nähergetreten. Der Großfürst war der begabteste unter den Söhnen des 
Kaisers Alexander II. In einer etwas rauhen Hülle ein feiner Geist. Sein 
Verständnis für Kunst war größer als das der Durchschnittsdilettanten. 
Er hatte nicht gewöhnliche historische Kenntnisse und vertiefte sie durch 
eifrige Lektüre geschichtlicher Werke. Er liebte Paris und Pariser Freuden, 
aber er war zu klug, um nicht einzusehen, daß ein Krieg zwischen den drei 
Kaisermächten sehr wahrscheinlich den Sturz der drei Kaiserthrone und 
zunächst den Fall des Zarenthrones herbeiführen würde. Die Großfürstin 
Maria Pawlowna war eine schöne Frau. Sie war sich ihrer Schönheit 
bewußt und hatte es nicht ungern, wenn man ihr huldigte. Sie war eine 
Tochter des Großherzogs Friedrich Franz II. von Mecklenburg-Schwerin 
und seiner frommen Gemahlin, der Prinzessin Auguste von Reuß-Schleiz- 
Köstritz. Streng religiös erzogen, war sie die erste deutsche Prinzessin, die 
sich, als sie einen russischen Großfürsten heiratete, weigerte, ihrem evan- 
gelischen Glauben untreu zu werden. Sie ist erst kurz vor dem Ausbruch 
des Weltkrieges zur orthodoxen Kirche übergetreten. Eine Urenkelin der 
Königin Luise von Preußen, hat sie lange treu an Preußen und Deutschland 
gehangen, bis auch sie, wie manche andere deutsche Fürstentochter, der 
Weltkrieg in andere Bahnen warf. Sie war nicht nur schön, sondern auch 
ehrgeizig im großen Stil. Ich sagte ihr einmal, daß sie in jeder Richtung das 
Zeug zu einer Katharina II. in sich trüge, ein Kompliment, das sie nicht 
ablehnte. Ich hatte von ihr die Erlaubnis erhalten, bei ihr zum Afternoon- 
Tea zu erscheinen. Ich lernte in ihrem Salon alle russischen Großfürsten 
kennen. Namentlich unter den jüngeren gab es manche, die deutsch- 
feindlich gesinnt waren. Als mich einer dieser Herren öfter bei der Groß- 
fürstin getroffen hatte, frug er mich: „Depuis quand &tes-vous si intime 
avec Maria Pawlowna?‘“ Er schwieg, als ich ihm erwiderte: „Il ya plus de 
sept siöcles que ma famille a l’honneur de servir la sienne.“ 
Als ich wieder einmal Tee bei der schönen Großfürstin trank, erschien 
der Großfürst und nahm mich beiseite. Indem er den streng konfidentiellen 
Charakter seiner Eröffnungen betonte, sagte er mir: Er habe am Abend 
vorher eine lange Unterredung mit seinem Bruder, dem Kaiser, gehabt, 
der ihm erklärt habe, daß er nach den letzten Vorgängen in Bulgarien, 
wo Österreich eine ausgesprochen russenfeindliche Politik mache, früher 
mit dem Battenberger und jetzt mit dem Koburger, die Abmachungen von 
Skierniewice mit Österreich nicht erneuern könne. Dagegen wäre er bereit, 
Großfürstin 
Maria 
Pawlowna
	        
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