Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

Der alte 
Kaiser stirbt 
Trauerfeier 
in Petersburg 
616 SCHWEINITZ 
Haben Sie das vierte Gebot vergessen?“ Als Yorck auf seiner Ansicht 
beharrte, frug Schweinitz: „Und würden Sie sich so gegen Ihre Frau 
Mutter bencehmen, wie sich Prinz Wilhelm gegen seine Mutter benimmt ?“ 
Yorck schwieg. 
Am 7. März 1888 zeigte mir der Botschafter Schweinitz ein aus Berlin 
eingegangenes Telegramm mit den Worten: „Herr bleibe bei uns, denn es 
will Abend werden.“ Die Nachricht besagte, daß das Befinden des Kaisers, 
der seit mehreren Tagen an Erkältung und Unterleibsbeschwerden litt, zu 
Besorgnissen Anlaß gebe. Weitere Telegramme sowie Briefe aus der nächsten 
Umgebung des greisen Kaisers unterrichteten uns, die wir in schmerzlicher 
Spannung der Nachrichten aus der Heimat harrten, über den Verlauf der 
Krankheit. Am 8. März kam die Nachricht, daß der Kaiser eine sehr 
unruhige Nacht gehabt hatte. Am 9. März um halb neun Uhr morgens 
ging Kaiser Wilhelm sanft und ohne Kampf ein zum ewigen Frieden. Einige 
Stunden später hielt ihm Fürst Bismarck im Reichstag den schönsten 
Nachruf, der je einem Sterblichen gehalten wurde. 
Drei Tage nach dem Heimgang unseres alten Herrn fand in der luthe- 
rischen Annenkirche in St. Petersburg eine Trauerfeier für den verewigten 
Kaiser statt, der mit allen Großfürsten und Großfürstinnen der Kaiser und 
die Kaiserin von Rußland beiwohnten. Alexander III., dem ich gegenüber- 
stand, sah bewegt und ernst aus, was dem stämmigen, breitschultrigen 
Mann gut stand. Der Botschafter von Schweinitz hatte gelegentlich die 
Gefühle des Zaren gegenüber Deutschland in einem an den Fürsten 
Bismarck gerichteten Schreiben nicht übel wie folgt charakterisiert: ‚Der 
Zar empfindet für unseren allergnädigsten Herrn Ehrerbietung, für Seine 
Kaiserliche und Königliche Hoheit den Kronprinzen herzliche Freundschaft, 
für Eure Durchlaucht Bewunderung und Furcht.“ Als am Schluß des 
Gottesdienstes das mächtigste deutsche Lied, der gewaltige Gesang von 
der „festen Burg‘ erscholl, begegnete mein Blick dem meines Chefs. 
Er weinte, und auch mir füllten Tränen die Augen. Unsere Sorgen und 
Hoffnungen, Gefühle und Gebete waren die gleichen. Ich war nicht immer 
gut mit Schweinitz ausgekommen. Er war kein bequemer Vourgesetzter und 
hatte mit fast allen seineu Sekretären schlecht gestanden. Aber so wie er 
war, schroff, eigenwillig, eckig und kantig, war er alles in allem ein prächtiger 
altpreußischer Typus. Er war aus dem 1. Garde-Regiment hervorgegangen. 
Als ich einmal die Vorzüge meines lieben Freundes, des Grafen Adolf Keller, 
rühmte, der im Kaiser-Franz-Garde-Grenadier-Regiment Nr. 2 groß ge- 
worden war, brummte Schweinitz: „Alles gut und schön, aber Keller fehlt 
die Rippe des Ersten Garde-Regiments.““ Die preußische Armee und den 
Jesuitenorden hielt Schweinitz für die beiden vollkommensten ÖOrgani- 
sationen, die es auf der Welt gebe. Er war ein geborener Schlesier und
	        
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