Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

DIE GEGNER BISMARCKS 627 
Holstein im Tiergarten spazieren. Ich fand ihn präokkupiert. Er 
kritisierte mit Schärfe die russophile Politik des „Chefs“. Er erzählte mir 
daß er sich mit Rantzau total brouilliert habe und infolgedessen auch die 
Gräfin Marie Rantzau und deren Mutter, die Fürstin Johanna Bismarck, 
nicht mehr besuche. Das schien mir nichts Gutes zu bedcuten, denn ich er- 
innerte mich daran, wie die Feindschaft zwischen Holstein und seinem 
damaligen Chef, dem Grafen Harry Arnim, in Paris damit begonuen hatte, 
daß Holstein nicht mehr zu den Empfängen der Gräfin Arnim erschien. 
Ich begleitete Holstein zu Fuß bis zum Auswärtigen Amt. Während sich 
dessen Tor vor uns öffnete, frug Holstein blitzschnell, wie es seine Art 
war, verfängliche Fragen zu stellen: „Ihr Bruder Adolf, der Adjutant und 
Freund unseres jungen Kaisers, ist doch für Bismarck?“ Ich erwiderte 
sofort und ganz unbefangen: „Gewiß! Er ist dem Fürsten sehr ergeben und 
würde dessen Ausscheiden als ein schweres Unglück ansehen.“ Das Gesicht 
von Holstein nahm einen enttäuschten, einen fast diabolischen Ausdruck 
an. Ohne mir zu antworten, wandte er sich der Treppe zu, die zwischen 
den beiden Sphinxen zum ersten Stock des Auswärtigen Amtes führt. Ich 
fühlte, daß Flolstein sich innerlich vom Fürsten Bismarck abwandte. 
Am folgenden Tage aß ich bei Herbert, der auch Kiderlen eingeladen 
hatte. Sobald Herbert mit mir sprach, näherte sich Kiderlen uns mit arg- 
wöhnischem Gesicht. Ich ahnte, daß auch Kiderlen, seit jeher ein Knappe 
von Holstein, zu denen gehörte, die den Sturz des Fürsten wünschten und 
auf ihn hinarbeiteten. Auch Kiderlen erfreute sich des Vertrauens des 
Fürsten und stand Herbert persönlich nahe, dem er, als sie zusammen an 
der Petersburger Botschaft arbeiteten, durch seinen Verstand und noch 
mehr durch seine Trinkfestigkeit gelallen hatte. Also zwei Verräter im 
eigenen Hause, in das von außen Waldersee und sein Anhang, elırgeizige 
Streber, ehrliche, aber bornierte Ultrakonservative und Pietisten einzu- 
dringen suchten, Einige Tage später war ich mit Herbert Gast des Grafen 
Wilhelm Pourtale&s, des Vaters des späteren Botschafters in St. Peters- 
burg. Er war ein Lebemann, aber ein Mann von Takt, ein guter Beobachter 
und feiner Verstand. Auch er schien mir nicht mehr mit einer längeren 
Amtsdauer des großen Fürsten zu rechnen. Unter den Eingeladenen 
befand sich außer Herbert Bismarck und mir der bayrische Gesandte, 
Graf Hugo Lerchenfeld. Bei Tisch kam das Gespräch auf Holstein, dessen 
Eigenart und Eigenheiten. Lerchenfeld erlaubte sich einige ironische Be- 
merkungen über Holstein. Herbert wies Lerchenfeld mit einer Heftigkeit 
zurecht, die mich erstaunte, denn beide waren Korpsbrüder und intime 
Freunde. „Holstein ist treu wie Gold!“ brüllte der von dem guten Bur- 
gunder des Grafen Pourtalös erhitzte Herbert. „Wer etwas gegen Holstein 
sagt, bekommt es mit mir zu tun.“ 
40* 
Kiderlen- 
Wächter
	        
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