Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

Der Ausgang 
des Kultur- 
kampfes 
Die National- 
liberalen 
634 DIE WUNDE DER GERMANIA 
Politik in Deutschland eine große Hauptsache! Das Ruck- und Stoßweise 
bringt den schwerfällig angelegten Deutschen aus dem Häuschen, während 
Kreuzsprünge und Widersprüche ihm bei seinem ausgesprochenen Hange 
zu Ernst und Gründlichkeit als Frivolität erscheinen. 
Mit den richtigen ‚Ultramontanen‘ ist freilich kein ewiger Bund zu 
flechten, aber gegen eine zweite Auflage des Kulturkampfes bin ich durch- 
aus. Die erste war wohl der einzige große politische Fehler des Reichs- 
kanzlers, denn über die Einführung des allgemeinen Stimmrechts läßt sich 
streiten. Der Kulturkanıpf hat unsere evangelische Kirche während des 
Streits geschwächt, beim Friedensschluß gedemütigt. Er hat die katholische 
Kirche gekräftigt und gehoben, das Zentrum recht eigentlich großgezugen 
und damit unsere parlamentarischen Verhältnisse auf lange hinaus ver- 
wirrt und erschwert. Das schlimmste aber war, daß die gefährlichste Wunde 
am Leibe unserer hehren Mutter Germania, die Glaubensspaltung, der wir 
schon den Dreißigjährigen Krieg mit allem sich daran anschließenden 
namenlosen Elend verdanken, durch den Kulturkampf vergrößert und ver- 
schärft wurde. Es hilft natürlich nichts, zu klagen, daß wir nicht, wie Ruß- 
land und Frankreich, den großen politischen Vorzug konfessioneller Homo- 
genität und Geschlossenheit besitzen. Wir müssen mit den vorhandenen 
Faktoren rechnen und gewissenhaft vermeiden, was das Übel ver- 
schlimmern könnte. Der Ausgang des jüngsten Kulturkampfes wie ähn- 
licher früherer Wirren, die Ergebnisse der Glaubenskämpfe im 16. und 
17. Jahrhundert, die Folgen der Kirchenpolitik der Hohenstaufen und 
Salier reden eine deutliche Sprache. Wenn ich gegenüber der Kurie kalt- 
blütige Ruhe und in allen deutschen interkonfessionellen Fragen große 
Schonung der Katholiken für die einzig richtige Taktik halte, so bin ich 
doch weit entfernt von Vertrauensseligkeit gegenüber dem ‚Ultramonta- 
nismus‘. Ihm gegenüber kann nach seiner ganzen Natur nur von einem 
Modus vivendi, nicht von ewigem Frieden die Rede sein. Speziell darf 
unsere auswärtige Politik gewiß nicht in den Dienst der Kurie gestellt oder 
auch nur von ihr beeinflußt werden. Gerade die im Dreibund verkörperte 
Politik kann richtig und ohne Nachteil für uns nur von Leuten geleitet 
und ausgeführt werden, die bis ins Mark preußisch sind und genährt mit 
der Milch friderizianischer Denkungsart. Wirkliche ‚Ultramontane‘ würden 
unter der Firma des Dreibunds anderer Leute Geschäfte machen als die 
unsrigen. 
Die Nationalliberalen zu verfolgen, ist gar kein Anlaß. Wollte der 
Himmel, daß diese im Innern zahme, nach außen vaterländisch gesinnte 
Spielart bei uns zahlreicher vertreten wäre. In Süddeutschland sind über- 
dies die Nationalliberalen vorläufig die einzigen hieb- und stichfesten 
Vertreter des Reichsgedankens. Es wird noch viel Wasser Main, Rhein und
	        
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