DAS IRREPARABLE 635
Donau hinabfließen, bis die katholischen Magnaten und die katholischen
Massen am Ufer dieser Ströme innerlich gewonnen werden und jede Rück-
kehr zu der alten Gesinnung ausgeschlossen erscheint, die in jenen Gruppen
abwechselnd partikularistisch, großdeutsch, ultramontan, auch wohl rhein-
bündnerisch, aber nie hohenzollerisch war. An der Gewinnung soll mit
Geschicklichkeit und auch mit Schonung und mit Langmut gearbeitet
werden. Aber wir dürfen ihr nicht große Interessen und wirklich treue
Anhänger opfern.
So sehr es mich interessiert, über Berliner Vorgänge zu hören, so emp-
finde ich doch gar kein Verlangen, jetzt selbst dort zu sein. Nicht aus
Faulheit oder Kleinmut denke ich so, sondern weil ich bei den bekannten
Verhältnissen im Auswärtigen Amt auch bei dem besten Willen dort nicht
das Allermindeste nützen könnte. Speziell die Stellung des Unterstaats-
sekretärs ist ungefähr die einzige, gegen die sich mein im übrigen militär-
frommer Sinn lebhaft und hartnäckig sträuben würde. Mein Zukunftstraum
wäre, hier zu bleiben, bis ich eine Botschaft bekommen kann. Im übrigen
hat bei mir die ehrgeizige Unruhe meiner ersten Jugend längst einer Welt-
anschauung Platz gemacht, wo ich mich gelassen der höheren Führung an-
vertraue und mein Dichten und Trachten auf den Wunsch beschränke, wo
man mich auch hinstellt, im Geiste meines Vaters das Bestmögliche zu tun.“
Phili antwortete nicht auf diesen Brief, ist aber in späteren Jahren mir
gegenüber mündlich mehrfach aufihn zurückgekommen. Er hat mich, wie
ich mich gut erinnere, sowohl nach dem Heimgang des großen Fürsten
wie nach dem Tod Herbert Bismarcks daran erinnert, daß ich ihn Anfang
März 1890 dringend vor den Folgen einer unfreundlichen Entfernung des
Fürsten Bismarck gewarnt hätte. Seufzend und mit dem melancholischen
Gesichtsausdruck, der ihm eigen war, wenn er Reue oder Furcht empfand,
äußerte er dabei: „Wer hätte denken können, daß die Beseitigung der
Familie Bismarck so lange andauernde und so tiefgehende Folgen haben
würde! Das haben weder Waldersee noch Bötticher noch Seine Majestät
noch ich geahnt.““
Am 20. März traf in Bukarest die Nachricht ein, daß Kaiser Wilhelm II.
den Fürsten Bismarckentlassen habe. Sie wurde in Rumänien anfäng-
lich gar nicht geglaubt, dann mit maßlosem Staunen aufgenommen. Die
französisch gesinnten Kreise konnten ihre Freude kaum verbergen. Unsere
Freunde ließen die Köpfe hängen. König Carol sagte mir einige Tage später:
„Mein Gesandter in Berlin telegraphierte mir, daß dort die öffentliche
Meinung den Rücktritt des Fürsten Bismarck mit Ruhe, beinahe mit
Gleichgültigkeit, teilweise mit Befriedigung hingenommen habe. Was die
Entlassung des Fürsten Bismarck durch den jungen Kaiser für Deutsch-
land, ja für die Welt bedeutet, wird sich aber später herausstellen.“
Bismarcks
Sturz