Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

DER ZERSCHMETTERER 643 
beschleunigte Einreichung der Demission gefordert. „Wie ein unredlicher 
oder lästiger Bedienter ist mein armer alter Vater fortgejagt worden.“ 
Über die letzte Unterredung zwischen Seiner Majestät und dem Kanzler 
Bismarck erzählte mir Herbert: sein Vater sei mit fünfundsiebzig Jahren 
und noch mehr durch ein arbeitsreiches und bewegtes Leben begreiflicher- 
weise schonungsbedürftig geworden. Die Ärzte hätten darauf bestanden, 
daß er sich am Morgen schone. Sie hätten gewünscht, daß er seinen Morgen- 
tee im Bett nähme, dann warm bade und sich massieren lasse und erst gegen 
Mittag, namentlich bei dem rauhen Märzwetter, ausgehe. An jenem Ab- 
schiedsmorgen sei der Kaiser schon ganz früh in seiner, des Staatssekretärs 
Herbert Villa erschienen und habe in ungeduldigem und ungnädigem Tone 
verlangt, daß sich der Fürst sofort bei ihm melde. „So mußte mein Vater, 
notdürftig bekleidet, fröstelnd, bei Kälte und Regen durch den Garten des 
Reichskanzlerpalais zur Staatssekretärsvilla gehen. Dort angekummen, 
frug ihn der Kaiser in barschem Ton: ‚Wann bekommeichendlich Ihr 
Abschiedsgesuch?‘ Der Fürst habe mit völliger Selbstbeherrschung und 
mit vollkommenster Höflichkeit geantwortet: „Eure Majestät bitte ich 
untertänigst, noch einige Stunden Geduld zu haben mit einem alten Mann. 
Nach fast dreißigjähriger Tätigkeit als Ministerpräsident und Reichskanzler 
habe ich nicht nur das Recht, sondern, wie ich meine, auch die Pflicht, vor 
Eurer Majestät, vor dem Lande und vor der Geschichte in aller Ehrfurcht 
die Gründe meines Rücktritts schriftlich darzulegen.“ Der Kaiser habe 
kurz und trocken entgegnet: „Von einer Veröffentlichung Ihres Abschieds- 
gesuches kann keine Rede sein.“ 
Sowohl Herbert wie Bill Bismarck haben mir in späteren Jahren über- 
einstimmend versichert, daß ihr Vater, als er von Wilhelm II. öffentlich 
geschmäht wurde, nie seinen Gleichmut und nicht einmal seinen Humor 
verloren habe. Als ihm die Reden vorgelegt wurden, wo Wilhelm II. in 
deutlicher Anspielung auf ihn ausgerufen hatte, er werde seine Gegner zer- 
schmettern, nur einer sei Herr im Lande, und das sei er, als er ver- 
kündigt hatte, daß sein Großvater, Kaiser Wilhelm I., manchen braven 
Minister gehabt hätte, aber mit dem Kaiser verglichen seien sie doch nur 
Pygmäen gewesen und Handlanger des Allerhöchsten Willens, habe Fürst 
Bismarck sich daraufbeschränkt, unter die betreffenden Zeitungsausschnitte 
zu schreiben: „Sunt pueri pueri! Pueri puerilia tractant.‘“ (Knaben sind 
eben Knaben und benehmen sich knabenhaft.) 
Herbert Bismarck verhehlte mir schon in Wildbad nicht, daß sein Vater 
mit schweren Sorgen in die Zukunft des Reiches blicke. „Kaiser Wilhelm Il. 
fährt mit Hurra den Abhang hinunter“, hatte, wie mir Herbert 
erzählte, bald nach seiner Entlassung der Vater Bismarck zu seinem 
ältesten Sohne gesagt. „Hoffentlich zeigt, wenn die Katastrophe kommt, 
41? 
Das Abschieds- 
gesuch
	        
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