Briefe
Herbert
Bismarcks
Caprivi und
Marschall
644 DIE NEUEN LEUTE
der Kaiser Courage und setzt sein Leben ein, wie Friedrich der Große bei
Zorndorf, bei Hochkirch und Kunersdorf. Und wenn es zum Äußersten
käme, zu Rebellion und Revolution, möge er dann fechten und, wenn es
sein müßte, fechtend fallen an den Stufen des Thrones, fechtend für die
Krone und die Rechte und die Ehre der Krone.“
Nachdem die Nachricht von der Verabschiedung des Fürsten Bismarck
in Bukarest eingetroffen war, hatte ich zweimal an Herbert Bismarck
geschrieben, um ihm meinen tiefen Schmerz über die in Berlin eingetretene
Wendung auszusprechen. Ich bat ihn gleichzeitig, seinem großen Vater die
Versicherung meiner unerschütterlichen Verehrung, Bewunderung und
Treue zu übermitteln. Er antwortete mir am 7. April 1890 aus Berlin:
„Haben Sie herzlichsten Dank für Ihre freundlichen beiden Briefe. Es ist
mir ein Bedürfnis, Ihnen zu sagen, wie wohltuend mich Ihre Worte be-
rührt haben. Darüber hinaus kann ich allerdings so gut wie nichts
schreiben, denn wer weiß, welche Schicksale dieser Brief erlebt, bevor er
in Ihre Hände gelangt. Ich bin diesen Winter mit der Gesundheit übler
dran gewesen denn je. Von einer schweren Influenza-Erkrankung im De-
zember, während der ich fortarbeiten mußte, bin ich noch jetzt nicht
erholt, und wenn mein Vater im Dienst geblieben wäre, hätte ich einen
längeren Urlaub von über vier Monaten nach ärztlicher Aussage ohnehin
unbedingt gebraucht. Nachdem nun aber mein Vater gegen seinen Wunsch
und Willen in ziemlich brüsker Weise entlassen war, wurde es für mich
unmöglich, die dadurch bei meinem Namen für mich so gewaltig vermehrte
Verantwortung und Arbeit gegenwärtig zu übernehmen. Selbst bei voller
Gesundheit hätte das gerade für mich die schwersten Bedenken gehabt,
denn meine Stellung unter einem in der Diplomatie ganz unerfahrenen
neuen Kanzler wäre eine sehr schiefe gewesen. Von den beiden neuen
Leuten — Caprivi und Marschall — verlangt niemand etwas in der
auswärtigen Politik,. denn jeder weiß, daß sie sich bisher nie damit ab-
gegeben haben, also auch nichts davon verstehen können. Daß Alvensleben
meine Nachfolge hartnäckig ablehnte, beklage ich für den Dienst, denn
letzterer wird jetzt auseinanderlaufen, da zur einheitlichen Leitung des
schwierigsten aller Ressorts, des Auswärtigen, etwas anderes gehört, als
was man als badischer Staatsanwalt und Parlamentarier lernen kann.
Marschall hat sich schon lange auf den Posten eingerichtet, wie ich höre,
und mir gegenüber jedenfalls kein gutes Gewissen, denn er hat mich seit der
Designierung vollständig ignoriert. Ich würde Berlin schon ganz geräumt
haben, wenn der Kaiser sich nicht auf morgen zum Diner bei mir angesagt
hätte. Nun fahre ich übermorgen nach Friedrichsruh und komme nach
Berlin schwerlich wieder. Leben Sie wohl, lieber Bülow, und machen Sie gute
Geschäfte unter der neuen Leitung. In steter Treue Ihr Herbert Bismarck.“