DIE SCHICKSALSSCHWERSTE WENDUNG 645
Am 18. April 1890, dem Tage, wo sechsundzwanzig Jahre früher die Er-
stürmung der Düppeler Schanzen die erste glänzende Probe auf die
Richtigkeit der Bismarckschen Politik gewesen war, schrieb ich wieder an
Herbert: „Lieber Herbert, Ihre gütigen Zeilen vom 7. ds. Mts. sind mir
richtig zugegangen. Haben Sie herzlichen Dank, daß Sie Zeit fanden, mir
zu schreiben in einem Momente, wo so viele Anforderungen an Sie heran-
getreten sein werden. Ihr Brief gab mir, wenn auch nur andeutungsweise,
die erste wirkliche Aufklärung über Ursache wie Verlauf der schicksals-
schwersten Wendung, die unser Staatsleben seit 1848 durchgemacht hat.
Inzwischen erhielt ich aus Berlin und Wien anderweitige Mitteilungen,
nach denen ich mir endlich ein einigermaßen richtiges Bild von denjüngsten
Vorgängen zu machen imstande bin. Meine Betrübnis über das Geschehene
wird durch den genaueren Einblick in dasselbe nicht verringert. Anderer-
seits brauche ich Ihnen wohl nicht zu sagen, daß die unbegrenzte Be-
wunderung und rückhaltlose Verehrung, welche ich, solange ich politisch
denke, für Ihren großen Vater empfinde, durch keinen äußeren Wechsel
berührt werden kann. Ich verstehe jetzt auch die Gründe, aus welchen Sie
nicht im Amte bleiben wollten. Mein Bedauern über Ihren Fortgang wird
hierdurch freilich nicht verringert. In diesem Augenblick wird jeder Ge-
danke an Wiedereintritt Ihnen unsympathisch sein. Aber dans mon for
interieur halte ich an der Hoffnung fest, daß Sie über kurz oder lang doch
wieder an die Spitze des Auswärtigen Ressorts treten werden. Wie früher,
so bin ich auch heute der Ansicht, daß wir für diesen wichtigsten und ver-
antwortungsvollsten Posten keinen Besseren als Sie haben, und diese meine
Überzeugung geht nicht allein aus einer unveränderten Freundschaft und
Anhänglichkeit an Sie hervor, sondern sie fußt auch auf wohlerwogenen
Verstandesgründen. Ich hoffe, Ihre durch Überarbeitung angegriffene Ge-
sundheit — was Sie an Arbeit geleistet haben, ist wirklich unglaublich —
wird sich jetzt rasch wieder bessern. Eine große Freude würde es mir sein,
wenn ich im Hochsommer, wo ich more solito auf Urlaub zu gehen gedenke,
Ihnen irgendwo, wenn auch nur für ein paar Stunden, begegnen könnte, um
Ihnen mündlich zu sagen, wovon mein Herz voll ist. Daß ich unter der
neuen Leitung ‚gute Geschäfte‘ machen werde, erscheint mir a priori kaum
wahrscheinlich. Ich stehe Caprivi wie Marschall vollständig fern, und daß
ich manche Feinde gerade unter denjenigen habe, die jetzt im Auswärtigen
Amt den Ton angeben, dürfte Ihnen nicht unbekannt sein. Seien Sie
übrigens versichert, daß mir, was auch die Invidia von mir behaupten mag,
die Sache viel höher steht als persönliche Ambitionen. Meine Wünsche
gehen nur dahin, daß das, was Ihr Vater geschaffen, uns erhalten bleibe:
durch Eintracht zwischen allen Gutgesinnten, Weisheit und selbstlose
Hingabe an unseren jungen Herrn und die Nation. Ich habe amtlich
Bülow an
Herbert
Bismarck