CARMEN SYLVA 649
eine dicke Köchin aussah und die Manieren einer solchen hatte, aber schlau
genug war, den einfältigen Prinzen Ferdinand einzufangen. Er verlobte
sich heimlich mit ihr.
Die Königin Elisabeth von Rumänien war eine groß angelegte Frau,
reich begabt und voll Herz, und wenn ihre unter dem Pseudonym
Carmen Sylva veröffentlichten Gedichte nicht ganz an die der Sappho
heranreichten, so hatte sie doch die Phantasie und das Temperament
einer Dichterin. Sie adorierte Helene Vacarescu, die übrigens auch Verse
machte, noch weniger gute als die Königin. Es gelang Helene, die
Königin für den Gedanken ihrer Vermählung mit dem rumänischen Thron-
erben nicht nur zu gewinnen, sondern zu begeistern. Unterstützt von dem
Kabinettssekretär Ihrer Majestät, einem französisch gesinnten Elsässer,
wußte sie die Königin für spiritistische Experimente zu interessieren. Die
hohe Frau erhoffte vom Spiritismus nicht nur poetische Inspirationen,
sondern auch prophetische Winke. Der Geist des Vaters der Königin, des
verewigten Fürsten Hermann von Wied, wurde zitiert. Gefragt, was er der
Königin rate, erwiderte er mit hohler Stimme, sie möge den Lorbeer der
Dichterin höher stellen als irdische Kronen. Gefragt, was Fräulein Helene
Vacarescu bevorstünde, erscholl laut die Antwort: „Helene — Reine!“
Der Geist sprach geläufig Französisch. Die Königin erblickte in dieser Ant-
wort ein Zeichen des Himmels, der ihre geliebte Helene zur Königin be-
stimmt habe. Sie ließ sich von der Familie Vacarescu und ihrem Kabinetts-
sekretär einreden, daß diese Verbindung des künftigen Königs von Ru-
mänien im Lande mit Jubel aufgenommen werden würde. Die Königin be-
stürmte den König Karl, die Heirat zu erlauben. Der König operierte, wie
immer, mit Klugheit und dabei mit Herzensgüte. Er erklärte seiner Ge-
mahlin, daß er sich in einer so delikaten Angelegenheit nach den Rat-
schlägen seiner Minister und der Parteiführer richten müsse. Alle erklärten
ohne Ausnahme, daß eine Verbindung des künftigen Königs von Ru-
mänien mit einer Rumänin im Lande einen Sturm der Entrüstung hervor-
rufen würde. Die Rumänen hätten sich einen fremden König geholt, weil
keiner von ihnen einem Landsmann die Krone gegönnt habe. Keine
Rumänin würde es ertragen, daß eine Landsmännin, noch dazu eine nicht
einmal hübsche Landsmännin, Königin werde, und nicht sie selbst. Nun
wurde Prinz Ferdinand vor die Majestäten zitiert und aufgefordert,
zwischen seiner Liebe und seiner Anwartschaft auf den Thron zu wählen.
Mit dichterischem Schwung rief Carmen Sylva ihm zu, daß Romeo auch für
eine Krone nicht auf Julie verzichtet haben würde. Der König beschränkte
sich auf den ruhigen, festen Hinweis darauf, daß es sich um ein Aut—aut
handle: Entweder die Krone oder Fräulein Vacarescu! Mit weinerlicher
Stimme erklärte Prinz Ferdinand, daß er die Krone vorzöge. Er wurde auf