Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

XLVI. KAPITEL 
Übernahme der Römischen Botschaft - Lage in Italien - Crispi, Blanc » Die deutsche 
Kolonie - Kaisers Geburtstag 1894 - Kaiser Wilhelm II. besucht König Humbert in 
Venedig 
Tr: Berlin war mir von vielen Seiten, im Auswärtigen Amt und von füh- 
Unruhen renden Persönlichkeiten unseres Wirtschaftslebens, gesagt worden, daß 
in Italien in Italien alles drunter und drüber ginge. In der Tat sah es dort für den 
Augenblick nicht gerade schön aus. Der Ministerpräsident Giolitti wurde 
in der Kammer und im Senat, in Cafes und Salons kritisiert und geschmäht. 
Zur Beruhigung derjenigen, die geneigt sind, sich durch ungerechte Kritik 
verblüffen zu lassen, füge ich hinzu, daß, als derselbe Giolitti nach dem 
Weltkrieg unter schwierigen Verhältnissen wieder die Zügel ergriff und sich 
dem Senat vorstellte, sich alle Mitglieder dieser hohen Körperschaft von 
ihren Sitzen erhoben und sich schweigend vor dem greisen Staatsmann ver- 
neigten. Ernster als die Kritik der Salons und Cafes war, daß im Herbst 
1893 in Sizilien, in Kalabrien und in der Romagna nicht unbedenkliche 
revolutionäre Unruhen ausgebrochen waren. Auch in Mailand und Neapel 
war es zu schweren Tumulten gekommen. Peinliche Bankskandale, in die 
Deputierte und Journalisten verwickelt waren, hatten Regierung und 
Kammer gezwungen, eine Untersuchungskommission einzusetzen. Auf An- 
trag der Regierung genehmigte die Kammer die gerichtliche Verfolgung 
des Abgeordneten Zerbi wegen Bestechung durch die Banca Romana. Vier- 
zehn Tage später starb Zerbi unter mysteriösen Umständen. Sein Schicksal 
erinnert an den Skandal, durch den in der Deutschen Republik der Post- 
minister Höfle sich selbst und das deutsche Beamtentum bloßstellte, das 
unter der Monarchie von keinem anderen der Welt an Gewissenhaftigkeit 
und Rechtschaffenheit übertroffen wurde. Die italienische Rente war tiefer 
gesunken, als sie 1866 nach den Niederlagen von Custozza und Lissa 
gestanden hatte. 
Drei einflußreiche Parteiführer, Rudini, Zanardelli und Sonnino, alle 
drei spätere Konseil-Präsidenten, wandten sich gegen Giolitti, den sie bis 
dahin unterstützt hatten und dem jetzt auch Crispi und Nicotera Fehde 
ansagten. Baron Giovanni Nicotera, ein Kalabrese, war unter den Bourbonen
	        
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