Bismarck im
Königlichen
Schloß
658 DER ALTE IN BERLIN
einem Influenza-Anfall beglückwünschte. Gleichzeitig überbrachte Kuno
Moltke eine Einladung zur Teilnahnie an der Feier des kaiserlichen Geburts-
tags. Fürst Bismarck hatte in seinem Antwortschreiben gebeten, mit
Rücksicht auf seine geschwächte Gesundheit Seiner Majestät seinen
Dank vor dem Allerhöchsten Geburtstage persönlich aussprechen zu
dürfen, eine Bitte, die telegraphisch genehmigt wurde. Der „,Reichs-
anzeiger“ hatte erklärt, daß die Entsendung des Flügeladjutanten Moltke
der eigensten persönlichen Initiative Seiner Majestät entsprungen sei und
daß auch in Regierungskreisen niemand von diesem Entschluß Kenntnis
gehabt habe. Das war richtig. Wie mir aus Berlin geschrieben wurde, war
in der Tat der Reichskanzler Caprivi von dem Entschluß Seiner Majestät
völlig überrascht worden. Der Staatssekretär Marschall konnte seinen
Ärger kaum verbergen. Holstein tobte laut, und Phili Eulenburg seufzte
still. Beide, damals noch enge persönliche Freunde und politische Bundes-
genossen, telegraphierten mir sogleich, jeder für sich, daß diese „Geste“
des Kaisers keine politische Bedeutung habe und daß Bismarck Vater
und Sohn nach wie vor politisch ausgeschaltet blieben. Das sollte eine
Warnung für mich sein. Die konservative und die nationalliberale Presse
begrüßten den kaiserlichen Schritt zur Versöhnung mit lebhafter Freude,
die Freisinnigen erklärten, daß von politischen Folgen dieser Wendung
keine Rede sein könne. Die Sozialisten und Klerikalen benutzten den An-
laß zu neuen, zum Teil überaus niedrigen Angriffen gegen den entamteten
großen Baumeister des Deutschen Reiches.
Am 26. Januar traf Fürst Bismarck am Mittag auf dem Lehrter Bahn-
hof in Berlin ein, von dem aus er nach seiner Entlassung nach Friedrichs-
ruh abgefahren war. Er wurde am Bahnhof vom Prinzen Heinrich, dem
Bruder des Kaisers, der ihn umarmte und küßte, und dem ehrwürdigen
und ruhmreichen Generaloberst von Pape, dem Helden von Saint-Privat,
empfangen. Von einer Eskadron Garde-Kürassiere eskortiert, von einer un-
absehbaren Menge mit stürmischem Jubel begrüßt, fuhr er nach dem
Königlichen Schloß. Hier empfing ihn der Kaiser, hier wurde er auch von
der Kaiserin und den ältesten Söhnen des Kaiserpaares begrüßt. Immer
korrekt in Formfragen, stattete Bismarck der Kaiserin Friedrich einen
halbstündigen Besuch ab. Wieviel hatten die beiden während fast drei
Jahrzehnten miteinander erlebt, gegeneinander gearbeitet! Bismarck emp-
fing den Ministerpräsidenten Grafen Botho Eulenburg, nach ihm seinen
treuen Freund aus großer Zeit, den Generaladjutanten Grafen Heinrich
Lehndorff und seinen ihm immer treugebliebenen Kollegen, den Minister
der öffentlichen Arbeiten, Albert von Maybach, der unter ihm das große
Werk der Verstaatlichung der Privatbahnen in vorbildlicher Weise durch-
geführt hatte. Caprivi und Marschall mußten sich darauf beschränken, ihre