Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

Die Krüger- 
Depesche 
666 EINE OHRFEIGE 
Camporeale, hinterlassene, auf einem Bergvorsprung am Meer gelegene 
Gut. Die Kirche von Altavilla, die sogenannte Chiesazza, wurde 1077 von 
Robert Guiscard erbaut, dem Sohne Tancreds von Hauteville. Seinem 
Vater zu Ehren gab er dem von ihm angelegten Ort den Namen Altavilla. 
Robert Guiscard wurde im Verlaufe seiner weiteren Karriere Graf von 
Apulien, eroberte Sizilien und Kalabrien, unternahm einen siegreichen 
Kriegszug gegen das griechische Kaisertum und befreite den in der Engels- 
burg durch den deutschen Kaiser Heinrich IV. belagerten Gregor VI]. Er 
starb auf seinem zweiten Zuge nach Konstantinopel 1085 auf Kephallonia, 
der größten der Ionischen Inseln, gegenüber dem Eingang des Golfes von 
Patras. Von dem würdigen Geistlichen von Altavilla wurde mir ein freund- 
licher Empfang bereitet. Als ich ihm für seine Armen eine kleine Geld- 
summe übergab, sagte er mir mit liebenswürdiger Courtoisie: „lo sono 
certo, che Dio vuole molto bene alla nostra Signora. Ma io domandero a la 
santissima Madonna di Altavilla, chi ha fatto tanti miracoli, di pregare 
Dio di fare ancora piü e sempre piü per-la nostra cara Signora, 
vostra moglie.“ 
Die Nichterneuerung des Rückversicherungsvertrages mit Rußland war 
von Holstein und Marschall auch damit motiviert worden, daß wir, von 
jeder Rücksicht auf Rußland entbunden, unser Verhältnis zu England nur 
um so besser würden pflegen können. Das Telegramm, das Wilhelm II. am 
3. Januar 1896 an den Präsidenten Krüger richtete, stand mit dieser 
Politik nicht im Einklang. Die Italiener, die aus naheliegenden Gründen 
ein gutes Verhältnis zwischen ihrem Verbündeten, dem Deutschen Reich, 
und ihren traditionellen Freunden, den Engländern, wünschten, standen 
damals zu uns in so guten Beziehungen, daß sie über die Krüger-Depesche 
zwar betrübt waren, dies jedoch nur wenig zum Ausdruck brachten. Aber 
mein englischer Kollege, Sir Clare Ford, sagte zu mir: „Diese Ohrfeige von 
seiten Ihres Kaisers wird England nicht vergessen.“ Als ich auf das Un- 
statthafte des Einfalles in Transvaal hinwies und auf weit ernstere Krän- 
kungen, die England von Frankreich und Rußland hingenommen habe, 
meinte Sir Clare: „Aber die gingen von Ministern, Parlamentariern und 
Publizisten aus, nicht von einem Kaiser.‘ Als ich von der Liebe und 
Achtung des Kaisers für England sprach, mit dem ihn nicht nur verwandt- 
schaftliche Bande, sondern auch Gewohnheiten und Passionen verbänden, 
replizierte mein englischer Kollege: „„Gerade wegen dieser vielen und in- 
timen Beziehungen wird das englische Volk Ihrem Kaiser diesen Aflront 
nicht verzeihen. Der Engländer hat die Empfindung, die ein Gentleman 
haben würde, dem im Klub ein anderer Gentleman, sein Vetter, mit dem 
er viele Jahre friedlich Whist gespielt und Brandy und Soda getrunken hat, 
plötzlich eine Maulschelle appliziert.“ Wenige Wochen später hielt im
	        
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