DER NEFFE WILLY 667
House of Commons der Erste Lord der Admiralität, Lord Goschen, eine
gegen den Deutschen Kaiser gerichtete, ungewöhnlich scharfe Rede und
legte gleichzeitig dem Unterhaus ein Flottenprogramm vor, durch das Eng-
land in die Lage versetzt werden sollte, so viele Schiffe in Dienst zu stellen
wie alle übrigen europäischen Mächte zusammen. Die Vorlage wurde fast
einstimmig angenommen. Viele Jahre später, ein Jahr vor meinem Rück-
tritt, sagte der englische Botschafter in Berlin, Sir Edward Goschen, zu
seinem italienischen Kollegen, der ihn zu der in den letzten Jahren
eingetretenen Besserung der englisch-deutschen Beziehungen beglück-
wünschte, die hoffentlich bald zu einer engen und wirklichen Freundschaft
werden würde: „Von einer solchen kann seit der Krüger-Depesche kaum
die Rede sein. Man hat sie in Deutschland vergessen, oder möchte sie ver-
gessen haben, aber in England denkt man an sie.“
Ich habe mich noch an anderer Stelle meiner Aufzeichnungen mit der
Krüger-Depesche beschäftigen müssen, die Fürst Bismarck sofort als ‚.in-
tempestiv” bezeichnete und verurteilte. Der Prinz von Wales kam mir
gegenüber später bei jedem Anlaß auf die Krüger-Depesche zurück, die in
einem spontanen Ausbruch die wahren Gefühle seines Neffen zum Aus-
druck gebracht habe. Dabei habe er von verschiedenen Seiten gehört, von
englischen Diplomaten, von Neutralen und selbst von seiner Schwester,
der Kaiserin Friedrich, daß dieses vehemente, abrupte Telegramm von
Hohenlohe, Marschall und Holstein dem Kaiser nur durchgelassen worden
sei, weil er sich ursprünglich mit noch weit exzentrischeren Plänen ge-
tragen habe. Er habe einen seiner Flügeladjutanten nach Afrika schicken
wollen, um ihn dort den Buren als Generalstabschef zur Verfügung zu
stellen. Die Prinzessin von Wales sagte zu ihrer vertrauten Hofdame, Miß
Charlotte Knollys, die es mir in Sandringham wiedererzählte: „In seinem
Telegramm an den Präsidenten Krüger hat mein Neffe Willy uns gezeigt,
daß er uns innerlich unfreundlich gesinnt ist, wenn er sich auch bei jeder
Begegnung mit uns in Kajolerien, Komplimenten und Versicherungen seiner
Liebe und Anhänglichkeit überbietet. Sein Verhalten gegen seinen sterben-
den Vater und seine Ungezogenheiten gegen seine Mutter zeigen, daß er so
wenig Herz hat, wie er politischen Common sense besitzt.““
Da ich nur zwei Monate im Jahr Urlaub nehmen konnte und wollte, habe
ich dreimal den Julimonat in Rom verbracht. Meine Frau, die, obwohl
Italienerin von Geburt, die Hitze weniger vertrug als ich, suchte schon
Ende Juni den Semmering auf, wo wir auf dem Gebirgssattel zwischen
Niederösterreich und der grünen Steiermark im Hotel Panhans ein gemüt-
liches Sommerheim gefunden hatten. Meine Strohwitwerzeit verschönten 7 ura
mir in Rom zwei Frauen, die, voneinander sehr verschieden, beide durch Minghetii-
Geist und Herz hervorragten: meine Schwiegermutter, Donna Laura Acton