Italiens Krieg
mit .ibessinien
672 GENERAL BARATIERI
Während meine Schwiegermutter regelmäßig bei mir auf der Terrasse
des Palazzo Caffarelli aß, hat die damals schon fast achtzigjährige Malwida
von Meysenbug im Sommer 1896 ganz bei mir gewohnt. Wir waren fast den
ganzen Tag beieinander. Wir waren über viele, über sehr viele Dinge ver-
schiedener Meinung. Das hat aber weder meiner tiefen Achtung vor ihr
noch unserer gegenseitigen Liebe Abbruch getan. In unseres himmlischen
Vaters Hause sind viele Wohnungen. Ich werde den mit meiner lieben
Malwida verbrachten Sommer nie vergessen.
Crispi hatte sich als Ministerpräsident besonders für die Entwicklung
der am Roten Meer zwischen Abessinien, der französischen Somali-Küste
und dem ägyptischen Sudan gelegenen Kolonie Erythräa interessiert. Zum
Führer der dortigen Streitkräfte war auf seinen Vorschlag General
Baratieri ernannt worden, ein Trentiner Irredentist, der sich mehr durch
lärmenden Chauvinismus als durch militärische Fähigkeiten auszeichnete.
Anfänglich schien das Glück Baratieri hold zu sein. Er hatte im Sommer
1894 Kassala, den Hauptstützpunkt der feindlichen Derwische, erobert und
im Mai 1895 die Souveränität Italiens über Tigr& proklamiert. Aber im
Herbst 1895 griff König Menelik von Abessinien zu den Waffen, um das
ihm lästig gewordene Schutzverhältnis zu Italien abzuschütteln. Nach an-
fänglichen Mißerfolgen gelang es ihm, ein vorgeschobenes italienisches
Bataillon mit großer Übermacht zu überfallen und zu vernichten. Crispi
war entschlossen, diese Scharte sofort auszuwetzen. Die öffentliche Meinung
stand noch auf seiner Seite, und das Parlament bewilligte mit großer Mehr-
heit die verlangten Kriegskredite. Im Februar 1896 verschlinimerte sich
jedoch die Lage der Italiener. Sie standen inmitten einer feindlichen Be-
völkerung. Vor sich hatten sie das weit stärkere Heer der Abessinier, in der
rechten Flanke wurden sie von den Derwischen bedroht. Die italienische
Kriegsleitung plante einen Vorstoß über Zeila gegen Harrar, um die
Abessinier im Zentrum ihrer Macht zu treffen. Aber England, mit dem
kühlen Egoismus, der immer und überall seine Politik auszeichnete,
zögerte, den ihm in Afrika damals nicht ganz bequemen Italienern die Er-
laubnis zum notwendigen Vormarsch durch englisches Gebiet zu geben.
In Rom wurde man unruhig. Crispi erkannte endlich die Unfähigkeit des
bisher von ihm protegierten Baratieri und legte dem König ein Dekret vor,
durch das der tüchtige General Baldissera zum Oberbefehlshaber der
italienischen Streitkräfte ernannt wurde. Gleichzeitig wurden weitere Ver-
stärkungen nach Afrika entsandt. Im Gegensatz zu dem Irredentisten und
Chauvinisten Baratieri hatte Baldissera, der als österreichischer Untertan
in Venedig geboren war, vor 1866 in der österreichischen Armee gedient
und sich in der Schlacht von Custozza auf österreichischer Seite durch
Tapferkeit ausgezeichnet, ein Beweis dafür, daß es beieinem General mehr