Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

Der Reichstag 
lehnt Ehrung 
Bismarcks ab 
Die „Ham- 
burger Nach- 
richten“: über 
den Rückver- 
sicherungs- 
vertrag 
680 BISMARCK ENTHÜLLT 
die gewaltige Gestalt Bismarcks stand, meinem Blick nicht entgehen. Am 
1. April 1895 sollte Fürst Bismarck sein achtzigstes Lebensjahr vollenden. 
Am 23. März schlug der Präsident des Reichstags, Herr von Levetzow, 
dem Hause vor, dem Fürsten die Glückwünsche des Reichstages auszu- 
sprechen. Graf Hompesch im Namen des Zentrums, Eugen Richter für die 
beiden Volksparteien, der Sozialdemokrat Singer, der Pole Fürst Radziwill 
und der Welfe von Hodenberg protestierten gegen eine Ehrung des Fürsten 
Bismarck. Der Reichstag lehnte mit 163 Stimmen der Klerikalen, Demo- 
kraten und Sozialisten gegen 146 Konservative und Nationalliberale die 
Beglückwünschung des Fürsten ab. Jeder wußte, daß der Staatssekretär 
des Äußern, Herr von Marschall, seinen Einfluß namentlich auf das 
Zentrum im Sinne der Ablehnung einer Ehrung für den Fürsten Bismarck 
geltend gemacht hatte. Als er das Resultat der Abstimmung erfuhr, richtete 
Wilhelm II., unbekümmert um alles, was er selbst dem Fürsten Bismarck 
angetan hatte, ein Telegramm an ihn, in dem er seiner „tiefsten Entrüstung‘ 
über den Beschluß des Reichstags Ausdruck gab. Bismarck antwortete 
ehrerbietig in der Form, aber inhaltlich kühl. Als der französische Bot- 
schafter in Berlin, Monsieur Herbette, den Reichstagsbeschluß vom 
23. März 1895 erfuhr, meinte er vor mehreren anderen fremden Diplomaten: 
„Les Allemands diront et feront ce qu’ils voudront, ils ne seront jamais 
un grand peuple.““ 
Im Oktober 1896 brachten die „Hamburger Nachrichten‘ Einzelheiten 
über den sogenannten Rückversicherungsvertrag, den seinerzeit vom 
Fürsten Bismarck abgeschlossenen deutsch-russischen Neutralitätsvertrag. 
Ein freisinniges Blatt hatte in einem Artikel ausgeführt, daß die Be- 
ziehungen zwischen Deutschland und Rußland in den letzten Jahren der 
Reichskanzlerzeit des Fürsten Bismarck ungünstig gewesen seien, auch 
nach dem Tode des Fürsten Gortschakow. Dessen Persönlichkeit sei also 
nicht das einzige Hindernis eines guten Einvernehmens zwischen Deutsch- 
land und Rußland gewesen. Der große Entamtete ließ durch sein Ham- 
burger Organ diese demokratische Auslassung mit Schärfe zurückweisen. 
Die Behauptung, daß Alexander III. und Herr von Giers nach dem Tode 
von Gortschakow dessen Politik fortgesetzt hätten, sei „absolut unwahr‘“. 
Schon in Skierniewice, also sehr bald nach dem Ausscheiden von Gor- 
tschakow, sei das gute Einvernehmen der deutschen und der russischen 
Politik wiederhergestellt worden und bis zur Entlassung des Fürsten Bis- 
marck in dieser Verfassung geblieben. Bis 1890 seien beide Reiche in vollem 
Einverständnis darüber gewesen, daß, wenn eines von ihnen angegriffen 
würde, das andere wohlwollend neutral bleiben solle. Wenn also beispiels- 
weise Deutschland von Frankreich angefallen würde, so war die wohl- 
wollende Neutralität Rußlands zu gewärtigen und die Deutschlands, wenn
	        
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