Nochmals
Begegnung
mit Eulenburg
686 KRITIK AM KAISER
In Venedig hatte ich im April 1897 nochmals eine Begegnung mit
Phili Eulenburg. Er war von seiner Mutter begleitet. Da Phili ungern ging,
fuhren wir & trois in einer Gondel durch die Kanäle der zauberhaften und
melancholischen Stadt. Die Mutter unterstützte die Vorstellungen ihres
Sohnes und erklärte, es sei meine Pflicht, als guter Preuße mich dem Ruf
des Königs nicht zu verweigern. Ich entwickelte immer wieder und mit
steigendem Nachdruck die Gründe, aus denen ich nicht glaubte, in the long
run mit Seiner Majestät auskommen zu können. Ich hob noch einmal und
mit noch größerer Schärfe unsere verschiedenartige Stellung zu Bismarck
hervor. Hiervon abgesehen, dächte ich in der innern wie in der äußern
Politik in vielen Punkten anders als unser Kaiser. In der äußern Politik
brauchten wir vor allem Stetigkeit. Nachdem wir den Bismarckschen
Draht, der uns mit Rußland verbunden, leider zerschnitten hätten, dürften
wir uns nicht von England gegen Rußland vorschieben lassen. Wir dürften
aber ebensowenig für die Russen die Kastanien aus dem englischen Feuer
holen. Wir müßten vorläufig unsere selbständige Stellung behaupten und
zu Rußland wie zu England gute Beziehungen aufrechterhalten. Der Kaiser
aber neige heute zu Rußland und morgen zu England und immer mit
Illusionen und Übertreibungen und „Volldampf voraus“. In der innern
Politik sei ich gewiß für eine starke Monarchie, wie das den preußischen
Traditionen und dem Wohl des Reiches entspreche. Aber fortgesetzte Ein-
mischung des Kaisers in den Gang der Geschäfte hielte ich für ein Übel,
schon weil der Kaiser im Grunde nicht viel von Politik verstünde. Er habe
bisweilen ganz nette Einfälle, aber er besitze nicht die Nüchternheit, Ruhe
und Stetigkeit, die für die Leitung der Politik eines großen Reiches un-
entbehrlich seien. Er kenne nicht das Ausland. Er sei überhaupt kein
Menschenkenner. Er sei geneigt, seine Phantasien für Realitäten zu nehmen
und das, was er wünsche, als tatsächlichen Faktor in Rechnung zu stellen.
Mit einer englischen Wendung gab ich der Meinung Ausdruck, daß Wil-
helm II. nur zu oft „in a fools paradise“ lebe. Die allzuvielen, oft geistvollen,
meist oratorisch gelungenen, aber nicht immer vorsichtigen, auch nicht
immer logischen, bisweilen taktlosen, zum Teil geradezu exzentrischen
Reden des Kaisers schadeten uns nach außen wie im Innern. Und endlich
hielte ich im Gegensatz zu dem neuerdings freihändlerisch angehauchten
Monarchen einen ausgiebigeren Schutz der deutschen Landwirtschaft für
unerläßlich.
Phili widersprach mir nicht direkt, er erklärte sogar, in manchen
Punkten meine Ansicht zu teilen. Aber ich fühlte, daß ich ihn nicht
wirklich überzeugte und daß er meine Berufung nach Berlin nicht nur für
wünschenswert, sondern als absolut notwendig ansah. Er sei übrigens
überzeugt, führte er in unserm Gespräch mehrfach aus, daß ich sehr gut