Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

Großherzogin 
Augusta 
62 HUNDERTTAUSEND TALER 
Von solcher Überspannung war der Großherzog von Mecklenburg- 
Strelitz weit entfernt. Er war eine nüchterne Natur mit ausgesprochenem 
Verständnis für Finanzfragen. Zweimal im Jahre beschied er seinen 
Berliner Bankier Helfft nach Strelitz und gab ihm seine Instruktionen, die 
meist zu sehr glücklichen Börsenoperationen führten. Das Bild, das sich der 
blinde Mann auf Grund der ihm vorgelesenen Zeitungen von der Weltlage 
machte, war fast immer richtig. Er hat ein sehr großes Vermögen hinter- 
lassen, wozu freilich auch sein Geiz beitrug. Als er seine goldene Hochzeit 
feierte, schenkte er jedem seiner Untertanen einen Taler. Da sein Land 
kaum hunderttausend Einwohner zählte, kostete der Spaß dem reichen 
Landesherrn nur hunderttausend Taler. Nationale Gesinnung im 
heutigen Sinne des Wortes fehlte dem Großherzog. Er war strenger 
Legitimist, in allem konservativ gerichtet und im Grunde der Ansicht, daß 
man sich in Deutschland nach dem zu richten habe, was in London und in 
St. Petersburg gewünscht werde. Sein einziger Bruder, der Prinz Georg 
von Strelitz, hatte die russische Großfürstin Katharina Michaelowna 
geheiratet und war in russische Dienste getreten. Der Großherzog selbst 
war mit einer englischen Prinzessin, der Tochter des Herzogs von Cambridge, 
vermählt. Der Vater wie der Bruder der Großherzogin waren englische 
Feldmarschälle. Von seiner Verwandtschaft mit dem englischen Königshaus 
war der Großherzog so begeistert, daß alle Strelitzer Hofleute, Kammer- 
herren und Kammerjunker, wenn sie den Frack mit goldenen Knöpfen, den 
sogenannten Chiffrefrack, anzogen, auf den Knöpfen die Devise des Hosen- 
bandordens „Honny soit qui mal y pense“ tragen mußten. Wenn der 
Großherzog sagte, dieses oder jenes habe der Zar gewünscht, so war es, als 
ob der liebe Gott gesprochen hätte. Für Österreich empfand er den Respekt, 
den wohlerzogene Leute einem bejahrten, sehr würdigen Großonkel 
entgegenbringen. Preußen mochte er nicht, obschon die Königin Luise, eine 
der edelsten Frauen aller Zeiten, eine der rührendsten Erscheinungen der 
deutschen Geschichte, dem Strelitzer Hause entsprossen war und in dem 
Strelitzer Schloß Hohenzieritz ihre schönen Augen geschlossen hatte. 
Die Großherzogin Augusta war englisch bis in die Fingerspitzen, übrigens 
eine groß angelegte Natur, mit Verständnis für Kunst, namentlich für Musik. 
Sie war die leibliche Tante der Königin Mary von England. Die Mutter des 
Großherzogs, die damals fast siebzigjährige Witwe des Großherzogs Georg, 
war eine Tochter des Landgrafen Friedrich von Hessen. Trat sie herein, so 
lebte die ganz alte Zeit wieder auf. Ihr 1837 mit neunzig Jahren ver- 
storbener Vater hatte noch Friedrich den Großen und Maria Theresia, die 
Kaiserin Katharina II. und Louis XV gekannt. Ihr Gemahl war der Bruder 
der Königin Luise von Preußen. Ihre einzige Tochter, die Herzogin Karoline, 
war die geschiedene Frau des Königs Friedrich VII. von Dänemark, und
	        
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