DIE JUNKER 63
ihre Melancholie wurde auf die trüben Erlebnisse ihrer Ehe mit einem
Trunkenbold und Sonderling zurückgeführt. Sie war eine feine, stille Dame,
in ihrer Art auch eine schöne Seele.
Mit dem Erbgroßherzog, der nur ein Jahr älter war als ich, verband
meinen Bruder Adolf und mich herzliche Freundschaft. Er war ein guter,
verständiger, frischer Junge, mit dem wir schöne Fußwanderungen unter-
nahmen und gemeinsam Tanzunterricht genossen. Wir tanzten nicht nur
Walzer, Polka und Polka-Mazurka, Francaise und Lancier, sondern auch
Menuett. Ich finde noch heute das Menuett graziöser und ästhetischer als
Jimmy und Foxtrott.
Im Strelitzer Gymnasium, dem Gymnasium Carolinum, wurden wir,
mein Bruder Adolf und ich, in die Untersekunda aufgenommen. Unsere
neuen Mitschüler kamen uns mit herzlicher Freundschaft entgegen. Sie
sprachen untereinander Plattdeutsch, das mich noch heute anheimelt, wenn
ich seine lieben Laute höre. Wir hatten unseren Strelitzer Schulkameraden
vieles Neue zu erzählen und ihnen manches zu schildern, was sie nicht
kannten. Sie gestanden uns, daß sie noch keinen Berg gesehen, auch noch
nie einen Esel erblickt hätten, wenigstens keinen vierbeinigen. Sie waren
noch nie mit einer Eisenbahn gefahren. Daß wir im Taunus den Feldberg
bestiegen hatten, auf Eseln nach Falkenstein und Königstein geritten und
daß wir gar von Frankfurt bis Hamburg mit der Eisenbahn gefahren waren,
imponierte sehr, oder vielmehr es imponierte „bannig‘‘, wie man sich auf
platt ausdrückt. Wir waren die einzigen Adligen in der Klasse und wurden
deshalb „die Junker‘ genannt. Selbstverständlich ohne die anzügliche
Nebenbedeutung, mit der die Bezeichnung ,„‚Junker“ von angeblich liberal
Gesinnten einem ganzen Stande angehängt wird, der dem Vaterland seit
Generationen tüchtige und hervorragende Männer geschenkt hat, Männer,
um nur einige herauszugreifen, wie Bismarck, wie Hindenburg, wie
Hardenberg, wie Blücher und Moltke, Seidlitz und Zieten, wie Werder und
Göben, wie Heinrich von Kleist und Ulrich von Wilamowitz-Möllendorf,
wie Hans von Bülow, Detlev von Liliencron und noch viele andere.
Unserem Klassenlehrer, Professor Ladewig, verdanke ich das Ver-
ständnis für Virgil. Gewiß, ich stelle Virgil nicht auf eine Stufe mit dem
blinden Sänger, dessen Geburtsort sieben hellenische Städte sein wollten.
"Ounoog Adgel xal dıiavoia ndvrag Önepßeßinxe rühmt Aristoteles. Und
selbst der Lateiner Quintilian muß zugeben: „Hic omnes sine dubio, et in
omni genere eloquentiae procul a se reliquit.‘“ Aber auch der Dichter der
Aeneis, der Eclogen und der Georgica gehört auf den Gipfel des Parnaß.
Er verdient mehr Verständnis, als ihm in Deutschland im allgemeinen
entgegengebracht wird. Um solches Verständnis zu erleichtern, hatte
Professor Ladewig die Äneide mit sachkundigen Erläuterungen und
Das
Strelitzer
Gymnasıum