FLÜGELSCHLAG 67
des Wortes. Ich bemerke hierzu, daß ich im zweiten Vers aus ästhetischen
Gründen für einen sehr viel derberen Ausdruck das Wort „Hoahr‘ (Haar)
gesetzt habe.
Im Januar 1864 zeigte es sich, daß mein Vater die Wahrheit gesagt hatte,
als er dem König Friedrich VII. die unausbleiblichen Folgen der eider-
dänischen Politik prophezeite. Im Februar wurde das Danewerk von den
Dänen geräumt. Am 18. April 1864 erstürmten die Preußen die Düppler
Schanzen. Das war der erste kräftige Flügelschlag des preußischen Adlers
seit einem halben Jahrhundert. In Mecklenburg, das tapferen Anteil an den
Freiheitskriegen genommen hatte, war die Begeisterung allgemein.
Der Erbgroßherzog teilte meinen Enthusiasmus. Er vertraute mir an,
daß sein Vater dem Kriege der deutschen Großmächte gegen Dänemark
kühl gegenüberstünde, seine Mutter, wie die Upper ten thousand in ihrer
englischen Heimat, mit den Dänen sympathisiere. In der Untersekunda des
Gymnasiums aber gingen die Wogen der Begeisterung sehr hoch, aus voller
Kehle wurde gesungen:
Ob Meer auch und alpige Halden
Vielmarkig zerteilen die Flur,
Ihr Banner viel Fürsten entfalten:
Ein Deutschland an Herzen ist’s nur!
Wohin sich der Sinn uns auch wende,
Millionen, sie schlingen die Hände
Zum großen Bund, dem ein’gen Vaterland.
In dem Hochgefühl, das mich erfüllte, als die Preußen in stürmischem
Anlauf und mit stürmischem Mut die schwarz-weiße Fahne auf alle zehn
Düppler Schanzen aufgepflanzt, als sie zwei Monate später mit kühnem
Handstreich den Übergang nach der Insel Alsen bewerkstelligt, die Dänen
überall geschlagen und sie nach Fünen vertrieben hatten, sagte ich zu
meinem Vater: „Jetzt sind wir ein großes Volk! Wir sind größer, als es die
Engländer und Franzosen sind.“ Mein Vater erwiderte mir ernst: „So weit
sind wir noch lange nicht. Uns fehlt das Nationalgefühl, der Nationalstolz
der Franzosen und Engländer. Wir streiten uns auch viel zu oft unter-
einander.‘ In diesem Zusammenhang hörte ich zum erstenmal das grausame
Wort von Goethe, daß die Deutschen im einzelnen tüchtig, als Ganzes aber
miserabel wären.
Wie in Frankfurt, so unternahm auch in Strelitz mein Vater oft Spazier-
gänge mit mir, namentlich von Neu-Strelitz nach Alt-Strelitz ging er
gern. Der Weg führte über eine kleine Anhöhe, wo bisweilen ein schärferer
Wind wehte. Als ich mich einmal über diesen Wind beklagte, erwiderte
mein Vater: „„Gewöhne dich beizeiten daran, daß auf Höhen ein kalter und
Düppel
Alt-Strelitz