Indien. 13
mal treiben darf. Diese Abtheilungen selbst gelten als vornehmer oder ge-
ringer; ihre untersten sind verachtet und bilden den Uebergang zu den
Parias und Tschandalas, der verworfenen Kaste, wahrscheinlich unterjochte
Reste der früheren Bewohner Indiens, von denen sich halbwilde Staͤmme
in den Gebirgen erhalten haben. Diese Parias werden als verfluchte
Menschen betrachtet, deren Berührung verunreinigt und strafwürdiges
Verbrechen ist. Zu sehr kann die verachtete Volksmasse nicht anwachsen;
wenn der Reis, ihre Hauptnahrung, mißräth, welches Ereigniß periodisch
wiederkehrt, so verhungert eine Million oder eine noch größere Zahl,
und damit ist die Gefahr der Uebervölkerung wieder beseitigt.
Werden durch die Religion der Braminen ganze Menschenklassen
herabgewürdigt und entehrt, so geht es den Thieren dagegen um so
besser. Diese genießen nicht bloß Schonung und Achtung, well sie die
Geschöpfe und Schütlinge der einen oder anderen Gottheit sind, sondern
sie erlangen sogar Verehrung und Dienst, weil in ihnen Menschenseelen,
ja ausnahmsweise selbst Götter, ihren Wohnsitz genommen haben. Die
meisten Menschen müssen, der Lehre der Braminen zufolge, nach dem
Leben zur Strafe und Buße in Thierleiber wandern (Metempsychose
oder Seelenwanderung) und in denselben oft der Reihe nach viele Jahr-
tausende zubringen, bis sie binlänglich gebessert und einer glücklicheren
Eristenz würdig sind. Fromme Hindu tödten darum kein Thier, enthalten
sich aller Speise aus dem Thierreiche und benutzen keine Häute und
Felle als Kleidungsstoffe; sie pflegen kranke Thiere und tödten ein Raub-
thier nur dann, wenn es einen Verwandten zerreißt, weil es in diesem
Falle dem Gesetze der Blutrache, Leben um Leben, verfallen ist. So ver-
kehrt die Religion der Braminen die Weltordnung; sich selbst behalten
sie Wissenschaft, Ebre und Gut vor und verlangen, daß selbst die un-
würdigsten ihrer Kaste dieser Vorzüge nicht verlustig werden können,
während auf der andern Seite die niedrigen Kasten der Verachtung und
dem Hasse preisgegeben werden, und ihnen seder Weg verwehrt ist, auf
dem sie sich durch Anstrengung und Verdienst emporarbeiten könnten.
Kein Wunder, wenn die reichgewordenen, halbvergötterten Braminen in
ihrem Stolze es verschmähten, weiter im Gebiete der Wissenschaft zu
arbeiten, hingegen die Erfindungen der Vorzeit durch Satzungen peiligten
und so jede Beränderung derselben verboten. Sie mußten um so mehr
in dieser stolzen Ruhe verharren, da nach ihrer Religion die Fremdlinge
nicht viel besser sind als die Parias, so daß es eine Schande wäre, wenn
die Braminen, die Lieblinge der Götter und die Inhaber aller von den
Göttern verliehenen Weisheit, die Schüler der von den Göttern ver-
sluchten Ausländer würden. Auch der Handelsverkehr, in welchem Indien
in uralter Zeit mit dem westlichen Asien stand, blieb ohne bedeutenden
Einfluß auf das Braminenvolk. Die Hindu selbst gaben die Erzeugnisse