Das goldene Zeitalter der römischen Literatur. 339
Zeiten der Republik nahm die Sorge für Staat und Stand Patricier
und Plebeser in Krieg und Frieden, letztere auch die Anstrengung für
ihr Hauswesen zu sehr in Anspruch, als daß sie mit der Kunst sich
bätten befreunden können; zudem hatte keines der italischen Völker, mit
welchen die Römer zu thun bekamen, selbst die Tusker nicht ausgenom-
men, sich in jenen Richtungen so weit entwickelt, um den stahlharten,
politischen Geist der Römer dadurch zu mildern; sie lernten von den
Tuskern ohne Zweifel in der Baukunfst, welche durch ihren unmittelbaren
Nutzen dem praktischen Römer zusagte und die er großartig weiter bil-
dete, ebenso in den Geschäften des Feldbaues, in welchen die Tusker
Meister waren. Als durch die Schätze Asiens die römischen Patricier sich
von der einfachen und strengen Lebensweise ihrer Vorfahren abbringen
ließen, so gewannen sie gleichzeitig Geschmack an der griechischen Kunst
und eigneten sich deren Schätze an, wie sie die Reichthümer der Pro-
vinzen ausbeuteten. Vornehme Kunstfreunde und Kunstkenner gab es
bald in Menge, aber der römische Adel erzeugte keine Künstler aus seiner
Mitte (wie der Adel überhaupt nie; sein Element ist Krieg und Politik,
und entzieht er sich diesen, so stirbt er ab), die römische Plebs wurde
aber nur roher, begehrlicher und niederträchtiger; sie verachtete den Stand
des Handwerkers, aus dem der Künstler erwächst, und suchte ihre Freude
bei den Rennspielen, Thier= und Gladiatorenkämpfen u. s. w., für welche
der Staat oder die Vornehmen sorgten. Das Meiste noch wirkte die
griechische Kunst auf den Handwerkerstand in den Provinzen; die ver-
schiedenen Geräthe, sowohl die zum Schmucke als die zu dem Bedarf
und der Bequemlichkeit des Hauses gebörigen, wurden bei den Römern
ebenso zweckmäßig als schön gearbeitet, wofür die Ausgrabungen in
Pompesi das vollkommenste Zeugniß ablegen.
Poesie.
Folgenreicher war der griechische Einfluß auf die Entwicklung der
römischen Poesie, welche in der Zeit des Augustus ihren höchsten Auf-
schwung nahm. Ursprünglich war dieselbe religiös und so viel wir aus
einzelnen Resten schließen dürfen, mit dem Götterkulte auf die Römer
von den Latinern und Sabinern vererbt, so daß die alte Sprache dieser
Lieder, Gebete und Litaneien in den letzten Zeiten der Republik bereits
nicht mehr verstanden wurde; man behielt dieselben dessenungeachtet bei
und änderte oder ersetzte sie in keiner Weise. Neben der religiösen
Poesie lebte die epische in selbständigem Wachsthume; denn es war alt-
römische Gewohnheit, daß Jünglinge bei dem Gastmahle die Thaten der
Väter besangen, was einen bedeutenden alten Liederschatz voraussetz.
Doch entwickelte sich kein römisches Volksepos, weil die Thaten der Rö-
mer nicht mehr in das Heroenalter fallen, in welchem schle dte und edle
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