350 Das Reich der Cäsaren.
errichten lassen ohne daß der Geist der altrömischen Religion dadurch ver-
letzt wurde, und er duldete es wirklich und hatte noch die Klugheit, daß
die Tempel und Altäre ihm und Rom zugleich geweiht werden mußten,
in welcher Verbindung er recht eigentlich als einer der großen Penaten
der Stadt und des Reiches erschien. Offenbar glaubten auch viele Leute
der gemeinen Volksklasse an eine gewisse Göttlichkeit des Augustus, be-
sonders in den Provinzen, wie dies noch immer der Fall gewesen ist,
wenn ein Sterblicher eine derartige Gewalt über die andere Menschheit
ausgeübt hat; die eigentlichen Römer aber, denen es genau bekannt war,
mit welchen Mitteln der Cäsar seine Gewalt erobert hatte und mit wel-
chen er sie festhielt, mußten sich sehr gedemüthigt fühlen, daß sie den
Mann, in welchem sie den Unterdrücker der Freiheit und des Rechtes
und nach der mildesten Anschauung nur einen gütig gewordenen Sulla,
eine Abwehr der niederträchtigen Souveränität der Plebs und des zügel-
losen Ehrgeizes entarteter Glieder der Nobilität erblicken konnten, nun
gar als einen Gott verehren sollten. Die Philosophie kann zwar alles
beweisen, auch das Absurdeste, meinte Cicero; aber bei dieser cäsarischen
Göttlichkeit mußte sie sich doch wohl darauf beschränken, daß sie den
Rath gab: „Laß den Cäsar einen Gott sein und thue nichts, was des-
sen Zorn reizen könnte.“ Dies bedachten die meisten und entschloßen
sich um so eher hiezu, als der neue Gott sanfter Natur war.
Die rämische Philosophie.
Die Philosophie war für die Römer überhaupt kein so wichtiges
Geschäft wie für die Griechen, und das Philosophieren gewährte ihnen
deßwegen auch keine Entschädigung für die entrissene politische Thätig-
keit; sie waren viel zu praktisch; sie bauten lieber an dem Reiche als
an philosophischen Spstemen, erörterten lieber einen Rechtsfall als ein
philosophisches Problem und nahmen die Welt, wie sie erschien, über-
zeugt, daß auch die scharfsichtigsten Philosophen weder in die Tiefe der
Erde noch über die Sterne binausblicken könnten. Ernsthaft haben sich
wenige Römer mit der Phllosophie beschäftigt, so lange noch die Repu-
blik bestand, und selbst zur Zeit der ersten Cäsaren sind philosopbische
Römer immer noch eine Ausnahme; in vornehmen Familien wurde zwar
gewöhnlich ein Hausphilosoph gehalten, und Griechenland lieferte von
jeder Sorte um keinen zu hohen Preis, aber die meisten waren kaum
besser geachtet als Musikanten, Spaßmacher und dergleichen. Die Phi-
losophie des Epikur, welche die Götter in Ruhe läßt und ihnen nicht
zumuthet, sich um die menschlichen Thorheiten und Uebelthaten zu be-
kümmern, da sie ja doch nichts ausrichten würden, und welche dem Men-
schen einen vernünftigen Lebensgenuß als Lebenszweck empfiehlt, übten
die meisten vornehmen Römer ohne dazu ein System zu brauchen. Aber