Tiberins. 365
welcher schlechte Römer, und deren gab es in den höchsten und nieder-
sten Kreisen eine Menge, wie hungrige Bestien haschten, und Tiberius
war allerdings nicht der Mann, der eine Beleidigung, mochte sie ihm
aus Leichtsinn, Muthwillen oder Bosheit zugefügt worden sein, unge-
straft hingehen ließ. Als eine Majestät verfuhr jeder Römer gegen
seine Sklaven, Tiberius aber erblickte in den Römern nur Sklaven, und
zwar sehr boshafte. Eine andere Maßregel zur Sicherung der kaiser-
lichen Despotie traf er dadurch, daß er die Prätorianer aus ihren Quar-
tieren in der Stadt in ein befestigtes Lager vor die Stadt verlegte; er
folgte hierin dem Ratbe seines Präfektus Prätorio Sejanus, welchem er
unbedingt vertraute. Auf diese Weise hörte das Zusammenleben des
Soldaten mit dem Volke auf, die militärische Disciplin konnte besser
gehandhabt werden, und dem Kaiser stand zu jeder Zeit eine schlagfertige
Macht zu Gebote; doch wurde diese Macht dem Kaiser selbst gefährlich,
denn sie erfuhr nur zu bald, daß der Kaiser ohne sie in Rom nichts
vermöge.
Tibertus als Tyrann.
So vollendete Tiberius den Bau der Cäsarendespotie, hatte aber
an demselben keine Freude. Die Willfährigkeit des Senates, dessen
kriechende, alles Maß überschreitende Schmeichelei war ihm ekelhaft und
vielmal soll er beim Herausgehen aus demselben gemurmelt haben: „O
diese Menschen, die sich zur Sklaverei herausgeputzt haben!“ Bei den
Heeren war sein junger Neffe Germanikus der Liebling, weil der alternde,
strenge Kaiser in Rom nur als oberster Zuchtmeister über die Soldaten
zu wachen schien, während Germanikus sie zu Sieg und Ruhm führte;
wenn dieser Kaiser geworden wäre, meinten die Soldaten, so warteten
auf seine treuen Legionen Preise, wie sie Cäsar und Augustus den ihri-
gen einst ausgetheilt hatten. Auch bei dem Volke und insgeheim auch
bei dem Senate galt der leutselige Sohn des Volkslieblings Drusus
alles, und diese Stimmung war dem Kaiser kein Geheimniß. Er rief
deßwegen den Germanikus von den rheinischen Legionen ab und schickte
ihn nach Asien, wo er bald starb. Die Trauer des Volkes war un-
mäßig, und allgemein wurde der Tod des Germanikus dem Cäsar zu-
geschrieben. Er opferte dieser Stimmung wirklich den Piso auf, der in
Asien dem Germanikus einen so unverschämten Trotz geboten hatte, daß
man sein Benehmen nur dadurch erklären konnte, wenn er im Auftrage
des Tiberius handelte und sich durch denselben geschützt wußte. Die
Wittwe des Germanikus, Agrippina, verletzte durch Schaustellung ihrer
Trauer und durch ihr feindsellges Mißtrauen den Tiberius unheilbar,
und darauf baute Sejanus, dem der Kaiser allein vertraute, seinen Plan,
die ganze kaiserliche Familse zu vernichten. Er umgarnte Agrippinen